Aufklärung, Orientierung und Kunsttour: Oder wie erfolgreiche Apps entstehen
Drei Gewinnerteams von Best of Swiss Apps 2022 haben am Swico Winner Talk ein paar Einblicke über ihre App-Projekte gegeben: Was gut gelaufen ist, wo Hindernisse gelauert haben und auch, wie sich die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern gestaltet.
An der Award Night von Best of Swiss Apps (BoSA) werden jährlich die besten App-Projekte der Schweiz prämiert. Im Rahmen des Swico Winner Talks lassen sich Gewinnerinnen und Gewinner jeweils in ihre Karten blicken. Dieses Jahr haben drei BoSA-Siegerprojekte über den Entstehungsprozess gesprochen. Alle haben sie ähnliche Erfahrungen gemacht: Es gibt immer eine Trial-and-Error-Phase.
Was also macht ihre Projekte so erfolgreich, dass sie von der BoSA-Jury mit Awards belohnt wurden? Klar ist, dass bei den Projekten seitens Auftragnehmerseite bei Milk Interactive, Dreipol und Staay sehr viel Arbeit und Kopfzerbrechen dahinter steckt. Darüber haben sie ausführlich in ihren rund 20-minütigen Präsentationen gesprochen und sich anschliessend den Fragen des Publikums gestellt.
Giancarlo Palmisani, der Leiter Verbandsdienstleistungen beim Wirtschaftsverband Swico, moderierte den Talk in der Digicomp Academy in Zürich. Am Winner Talk nehmen normalerweise Auftraggeber sowie Auftragnehmer teil - gestern waren krankheitsbedingt nur die Auftragnehmer vor Ort.
Aufklärung und Periodentracker in einem
Zuerst war das Projekt "Teena" an der Reihe, das von Milk Interactive umgesetzt wurde. Teena gewann drei Mal Gold in den Kategorien Design, Functionality und Innovation, sowie Silber in der Kategorie UX & Usability. Als Krönung gewann das Projekt den Titel "Master of Swiss Apps 2022". Über die App sprach Tobias Gemperli, Partner und Software Engineer bei Milk Interactive.
Tobias Gemperli, Partner und Software Engineer bei Milk Interactive, berichtete dem Publikum von der Teena-App. (Source: Netzmedien)
Er zeigte dem mehrheitlich männlichen Publikum auf, aus welcher Idee Teena entstand und wo Milk teilweise auch selbst an seine Grenzen stiess. Ziel war es, das "heikle" Thema für eine junge Zielgruppe spielerisch und massgeschneidert umzusetzen. Die Auftraggeberin Valley Electronics ist auf Fertility-/Zyklus-Tracker für Frauen spezialisiert. Die Idee für Teena entstand, als eine Mitarbeiterin von Valley Electronics eine Idee bei CEO Natalie Rechberg pitchte. Daraus entstanden ist schlussendlich Teena, die erste Kombination aus einem Periodenmessgerät und einer App für Teenager.
Milk Interactive sei unterwegs über die Tatsache gestolpert, dass ihr Team lediglich aus Männern bestand. So habe man sich externe, weibliche Unterstützung bei Onari Projects holen müssen. Die vier Frauen bei Onari Projects seien stark in visuellen Konzepten und Identitäten. Kombiniert mit den Stärken von Milk Interactive bei UI- und UX-Design, habe man sich optimal ergänzt. Wichtig sei vor allem gewesen, dass alle Beteiligten an einem Strang gezogen hatten. Und: "Es waren immer nur so viele Personen involviert, wie wirklich benötigt wurden."
Eine der grossen Herausforderungen sei jedoch die Produktion des Periodenmessgeräts gewesen. Die Chips dafür seien schwer zu bekommen gewesen und deshalb die Planung kompliziert. Da mit dem Zielpublikum von Teena Minderjährige angesprochen werden, mussten Auftraggeber und Auftragnehmer sich auch die Frage bezüglich Datenschutz stellen. Nutzerinnen von Teena müssen sich nicht per Mail oder Handy-Nummer einloggen. Das jeweilige Periodenmessgerät besitze eine Geräteseriennummer, die beim Kauf aber nicht mit dem Nutzerprofil verknüpft wird.
Die Projektarbeit habe rund 14 Monate gedauert. Ein grosser Vorteil sei sicherlich gewesen, dass man beim Periodenmessgerät auf bestehender Hardware aufbauen konnte.
Dank wem man sich im Kunsthaus nicht mehr verläuft
Als zweites Projekt trat ein Dreiergespann von Dreipol auf und berichtete über den Visitorguide des Kunsthauses Zürich. Das Projekt gewann Gold in der Kategorie Mobile Web. Der Visitorguide wurde als Progressive Web App umgesetzt und hilft Besucherinnen und Besuchern, sich im Kunsthaus Zürich besser zurechtzufinden. Das Projekt wurde durch das Kunsthaus Zürich selbst in Auftrag gegeben.
Den Anfang machte Florian Wille, Senior Design Strategist. Das Gebäude des Kunsthauses ist gross und kann unübersichtlich sein. Es wurde auftraggeberseitig deshalb eine Lösung anhand einer 3-D-Karte gewünscht. Im Zentrum standen die vereinfachte Planung und Orientierung im Gebäude, aber auch Kunstrichtungen und Künstler sollten einfacher zu finden sein. Die 3-D-Karte wurde mit Detailinfos zu Sektoren versehen und ermöglicht dadurch auch Querverbindungen im Haus sichtbar zu machen. Vor allem Besuchende, die sich nicht oft im Kunstmuseum aufhielten, profitieren von dieser App. Sie könnten sich nun dank des Visitorguides bereits auf ihren Besuch vorbereiten.
Das Dreierteam von Dreipol stellte den Visitorguide des Kunsthauses Zürich vor. (Source: Netzmedien)
Um die App zu optimieren, befragte Dreipol Besucherinnen und Besucher des Kunstmuseums. Bereits bei einer ersten Befragung hätten sich über 80 Prozent von ihnen auf der Karte wiederfinden können. Wille hob ausserdem hervor, dass Treppenhäuser für die Besucher-Orientierung äusserst wichtig waren. Besuchende können sich mithilfe der im Museum verteilten QR-Codes verorten, auch jeder einzelne Raum besitzt eine individuelle URL.
Als zweiter Speaker kam Dreipol-CTO Philipp Läubli auf das Thema CMS zu sprechen. Dreipol habe zunächst mehrere Prototypen erstellt und anschliessend zusammen mit dem Kunden das passende CMS ausgewählt. Das Projekt wurde mit dem Open-Source-Framework Next JS und der Javascript-Programmbibliothek React umgesetzt, alle Daten stammen aus dem DatoCMS. Technisch wurde es mit dem Lead Developer Fabrice Tobler. Bei Dreipol entschied man sich bei diesem Projekt für die Javascript-Programmierschnittstelle WebGL, womit 3D-Grafiken hardwarebeschleunigt und ohne zusätzliche Erweiterungen im Webbrowser dargestellt werden können. Man habe verschiedene JavaScrip-Bibliotheken ausprobieren müssen, bevor man die richtige Lösung zum geneieren der 3-D-Modelle fand. Schliesslich entschied man sich für React Three Fibre.
Jemand aus dem Publikum wollte wissen, weshalb das Kunsthaus sich nicht für einen SaaS-Anbieter entschied. Dies habe damit zu tun, dass der Kunde mit dem Look-and-Feel nicht glücklich war. Abstriche mussten die Entwickler und der Auftraggeber hingegen beim Thema Accessibility machen. Mit einem Screenreader stosse man beim Visitorguide an seine Grenzen. Die Integration eines Audioguides sei jedoch geplant.
Zürcher auf virtuellem Schnell-Kunst-Trip durch Basel
Beim dritten und letzten Projekt begab sich das Publikum auf eine visuelle Kunstreise durch Basel. Das Projekt ARTour entstand im Rahmen des 125-Jahre-Jubiläum des Pharmariesen Roche. Das Projekt wird nun von der Stadt Basel offiziell weitergeführt. Umgesetzt wurde das Projekt vom Zürcher Creative-Studio Staay. Das AR-Projekt wurde mit Silber in der Kategorie Campaign und Bronze für Design ausgezeichnet.
Das Projekt präsentieren Dimo Notarfrancesco, CTO und Gründer, und Gian Andri Bezzola, Art Director bei Staay. Zunächst stellte Sabine Himmelsbach, die Kuratorin des Projekts und Leiterin des HEK (Haus der elektronischen Künste) in Basel, mittels Videobotschaft das Projekt vor. Der virtuelle Kunstrundgang dauert rund 90 Minuten und führt die Besucherinnen und Besucher an verschiedenste Orte in Basel-Stadt. Zu sehen gibt es 3-D-Kunstwerke von Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt zum Thema "Celebrate Life".
Das Staay-Team führte das Publikum durch die ARTour. (Source: Netzwoche)
Bezzola startete zunächst mit den verschiedenen Herausforderungen, die auf Staay zukamen. Eine der grössten Herausforderungen sei die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern gewesen. Diese mussten ein fertiges 3-D-Modell anliefern. Die Challenge habe darin gelegen, dass die einzelnen Werke in sehr unterschiedlicher Qualität dahergekommen seien. Bei manchen habe dies auch dazugeführt, dass mit der Hilfe der Staay-Entwickler die Konzepte noch einmal überarbeitet werden mussten. Alle Projekte mussten sauber codiert sein, da sonst im schlimmsten Fall die App nicht funktioniert hätte.
Um die Kunstwerke richtig zu positionieren und sie auch im richtigen Grössenverhältnis darstellen zu können, mussten das Team mit Schatten arbeiten. Schatten zeigt an, wo sich ein Objekt befindet - und wenn Dinge nicht richtig platziert werden, können sie auch nicht richtig dargestellt werden. Eine andere Problematik begegnete dem Team von Staay in Form eines Android-GPS-Bugs. Die AR-Kunstwerke wurden standortbasiert geplant - jedoch wurde die eigene Position teilweise unpräzise an die App übermittelt. Auch die Integration der Kartenfunktion habe sich nicht ganz einfach gestaltet, da Kundenseitig ein Offline-Feature gewünscht wurde. Manche Kartenanbieter verbieten jedoch den Offline-Gebrauch, weshalb Staay einen eigenen Tile-Server aufbauen musste.
Nach der Arbeit das Vergnügen
Nach dem Winner Talk gab es bei einem Apéro Riche die Möglichkeit, Kontakte zu pflegen oder sich mit den Projekt-Verantwortlichen direkt auszutauschen.
(Source: Netzmedien)