Wie Teilzeitarbeit den Fachkräftemangel anheizt
Anlässlich seines dritten Networking-Events hat der FEA Einblick ins Thema Fachkräftemangel gegeben. Zwei Experten zeigten auf, weshalb Teilzeitarbeit Teil des Problems ist. Zudem erklärten sie, welche Stellenprofile besonders schwierig zu besetzen sind.
Dass es in der Schweiz in vielen Branchen an Fachkräften mangelt, ist nichts Neues. Aber woran liegt es, dass es insbesondere in der Baubranche, der Pflege, der IT und dem Gastgewerbe viele unbesetzte Stellen gibt und was kann die Schweiz dagegen tun? Diesen Fragen stellten sich Stefan Wolter, Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung und Simon Wey, Chefökonom beim Schweizerischen Arbeitgeberverband, am FEA Networking Event. Der Fachverband Elektroapparate für Haushalt und Gewerbe Schweiz führte das Format am 24. März zum dritten Mal durch und hatte dazu ins Hotel Belvoir in Rüschlikon (ZH) geladen.
Bevor aber die beiden Experten ins Thema eintauchten, richtete FEA-Präsidentin Tiana Moser einige Worte ans Publikum. Wie sie erklärte, entstand der Networking Event, da sich die Verbandsmitglieder eine Möglichkeit zum Austausch und Inputs zu Themen, welch über die Geschäftstätigkeiten des FEA hinausreichen, wünschten. Der erste dieser Events fand 2021 statt und drehte sich um das Thema "Covid-Krise: die Chancen nutzen". 2022 lud der FEA Redner ein, die Einblicke in die Kreislaufwirtschaft boten.
FEA-Präsidentin Tiana Moser begrüsste die Anwesenden. (Source: Netzmedien)
Moser, die zusätzlich zu ihrer Tätigkeit als FEA-Präsidentin auch als Nationalrätin agiert, sprach zudem zwei politische Themen an, mit denen sich der Verband momentan beschäftigt. Bezüglich Energieeffizienzanforderungen habe sich der FEA stark engagiert, um eine für die Schweizer Industrie sinnvolle Regulierung durchzusetzen, welche auch den Regulierungen der EU entspricht. Zur Erinnerung: Seit dem 1. März 2021 gibt es in der Schweiz und der EU eine neue Energieetickette. Weiter sei der FEA stark in das Thema Kreislaufwirtschaft involviert und arbeite zu diesem Zweck mit der Stiftung Sens E-Recycling zusammen.
Zu viele offene Stellen, zu wenig Arbeitskräfte
"Ich halte immer gerne Referate, die ich bereits einmal gehalten habe", scherzte Stefan Wolter als Einstieg in seine Keynote. Der Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung zückte denn auch eine Präsentation zum Thema Fachkräftemangel aus dem Jahr 2011 hervor. Der Unterschied zu damals: "Es gab 2011 noch stimmen, die behaupteten, den Fachkräftemangel gebe es gar nicht", sagte er und fügte an: "Darum musste ich leider doch ein neues Referat schreiben."
Fachkräftemangel entsteht laut Wolter, wenn Angebot - in diesem Fall qualifizierte Arbeitskräfte - und Nachfrage - offene Stellen - nicht mehr übereinstimmen respektive die Anzahl der offenen Stellen höher ist als die Anzahl an Arbeitskräften. Wolter unterscheidet hier quantitative und qualitative Faktoren, welche die Situation beeinflussen. Zu ersteren zählen Demografie und Konjunktur. So gingen die Baby-Boomer in Rente, während in der Schweiz Hochkonjunktur herrsche. Die dadurch entstehende Lücke respektive gesteigerte Nachfrage könne auch durch Migration oder Wegrationalisierung nicht gestopft werden. Hinzu kommen qualitative Faktoren. Diese erklärt der Experte damit, dass zwar genügend Arbeitskräfte vorhanden wären, diese aber nicht die nötigen Qualifikationen mitbringen. "Schreitet der technologische Wandel fort, wird es immer mehr gut ausgebildete Leute brauchen."
Stefan Wolter, Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung. (Source: Netzmedien)
Würden die Leute aber "das Falsche" lernen oder gäbe es eine fehlgeleitete Akademisierung, wäre die Arbeitslosenquote in der Schweiz laut Wolter jedoch viel höher. Viele Leute wechseln gar von ihrem gelernten Beruf in einen Sektor, in dem starker Fachkräftemangel herrscht. Der Experte zeigte zudem auf, dass 1991 nur jede sechste Frau in der Schweiz einen tertiären Bildungsabschluss hatte - heute trifft das auf jede zweite Frau zu. "Die Lohnvorteile sind jedoch seit 1991 stabil geblieben. Hätten all diese Frauen das Falsche studiert, wäre der relative Lohnvorteil gesunken", sagte er.
Knackpunkt Teilzeitarbeit
Eines der grössten Probleme am hiesigen Arbeitsmarkt sieht Wolter in der Teilzeitarbeit. Die durchschnittlich wöchentlich geleistet Arbeitszeit lag 2021 bei 30.6 Stunden. "Würden alle am Arbeitsmarkt so viel arbeiten wie 1991 hätten wir auf einen schlag 650'000 Erwerbstätige mehr." Teilzeitarbeit sei für viele Erwerbstätige heute das individuell Richtige. Wer Freizeit gegen Arbeit tausche, werde belohnt. "Ich bin nicht gegen Teilzeitarbeit, aber es summiert sich zu grösseren Quantitäten und kann so zum Problem werden. Personen fehlen dann, wenn man sie im Betrieb braucht. Das beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit." Zudem ergeben sich laut Wolter so Probleme bei der Finanzierung der Sozialversicherungen, welche auf Netto-Zahlende angewiesen sind. Diese gingen jedoch schnell verloren, wenn Leute Teilzeitarbeit leisten.
Wolter plädierte also zu mehr Anreizen für Arbeitnehmende, wieder 100 Prozent zu arbeiten oder ihr 100-Prozent-Pensum zu behalten. Er merkte zudem an, dass es auch Berufsgruppen gibt, in denen Arbeitnehmende ein Mindestpensum leisten müssen, um überhaupt auf dem aktuellen Stand zu bleiben und ihren Beruf weiter den Anforderungen entsprechend auszuüben.
Mehr Stellen, weniger Arbeitsvolumen
Dass die Bevölkerung gut am Arbeitsmarkt integriert ist, belegte Simon Wey. Wie er aufzeigte, hatte die Schweiz 2021 in Europa die dritthöchste Erwerbstätigenquote bei Personen zwischen 15 und 64 Jahren. Auch bezüglich Erwerbstätigenquote der Frauen war die Schweiz vor zwei Jahren auf dem dritten Rang. Vergleicht man nur die männliche Bevölkerung ist die Schweiz gar auf Platz zwei. Dabei war die Quote an Teilzeitarbeit 2021 im europäischen Vergleich am zweithöchsten. Laut Wey ist der geschlechterspezifische Unterschied sehr ausgeprägt. Es arbeiten deutlich mehr Frauen Teilzeit als Männer. Das führe zu einem gewissen Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt.
Wie Wey weiter ausführte, wuchs die Anzahl an Stellen - insbesondere im Dienstleistungssektor und in der Industrie - in den vergangenen Jahren konstant. Innert 10 Jahren kamen rund 10 Prozent an Arbeitsplätzen dazu. Das Arbeitsvolumen wuchs hingegen nur um 5 Prozent. "Sie brauchen also inzwischen doppelt so viele Arbeitskräfte, um dieselbe Anzahl Stellen zu besetzten. Das liegt unter anderem an der wachsenden Teilzeitarbeit, unbezahlten Urlauben, längeren Vaterschaftsabwesenheiten et cetera", erklärte der Chefökonom.
Simon Wey, Chefökonom beim Schweizerischen Arbeitgeberverband. (Source: Netzmedien)
Teilzeitarbeit sei aus Sicht der Arbeitgeber weder ausschliesslich negativ noch ausschliesslich positiv. Laut Wey haben Arbeitgeber grundsätzlich ein Interesse daran, Mitarbeitende mit möglichst hohem Arbeitspensum zu beschäftigen. Ob sich Teilzeitarbeit negativ auf ein Unternehmen auswirkt, hänge aber stark von den Umständen und Beweggründen für die Reduktion von Stellenprozenten ab. Ausserdem sei Teilzeitarbeit eine Chance für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt, denn "es ist besser, eine Person am Arbeitsmarkt zu halten oder ihr den Wiedereinstieg zu erlauben, als die Person ganz zu verlieren".
Stellen in Architektur, Baugewerbe und Informatik am längsten vakant
Wey präsentierte zudem die Ergebnisse einer Studie, welche BSS und die KOF gemeinsam durchgeführt hatten. Sie beschäftigt sich mit der Vakanzdauer offener Stellen in unterschiedlichen Branchen. Am längsten dauert es demnach in den Sektoren Architektur und Planung, Holz und Papier, im Baugewerbe, in der Umwelttechnik sowie in der Wasserversorgung und Informatik, um eine offene Stelle zu besetzen. Schnell gefunden sind hingegen geeignete Sekretariatsmitarbeitende.
Die Studie beschäftigt sich auch damit, welche Faktoren dazu führen, dass eine Stelle schwer zu besetzten ist. Am aufwändigsten wäre es laut Wey in der Schweiz eine geeignete Person für das folgende Stellenprofil zu finden: Vollzeitstelle als Heizungsinstallateur in einem Bau-KMU in St. Gallen. Erfordert Reisebereitschaft, gute Englischkenntnisse und Innovationskraft. Laut dem Chefökonom sind zudem häufig - anders als vielleicht erwartet - Berufe, die ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) erfordern am längsten vakant.
Laut Wey können Politik und Wirtschaft den Fachkräftemangel entschärfen, indem sie:
- Das inländische Arbeitskraftpotenzial ausschöpfen;
- Die Zuwanderung aus EU-, Efta- und Drittstaaten erhöhen;
- und offene Stellen durch Automatisierung und Digitalisierung kompensieren.
Was wäre ein Networking Event ohne Gelegenheit zum Networken? (Source: Netzmedien)
Bevor es zum Apero überging, informierte Rekha Datta vom FEA über das Projekt Servicemonteur des Verbandes. Der FEA wolle in diesem Rahmen ein neues Berufsprofil schaffen, das gesamtschweizerisch abgedeckt ist. "Dieses Projekt wird uns in den nächsten zwei Jahren beschäftigen. Es gibt dort noch viele Fragen zu klären", sagte Datta und verwies anschliessend auf die Generalversammlung des FEA am 15. Mai in Zürich.
Der Fachkräftemangel beschäftigt auch die AV-Branche. Rafael Melson vom Fachverband Avixa sagt im Interview, welches Manko die Schweiz bei der Ausbildung von Fachpersonen hat und warum der Fachkräftemangel - zumindest teilweise - ein Marketing-Problem ist.