Darum ist der AV-Fachkräftemangel auch ein Marketing-Problem
Der Fachkräftemangel ist in aller Munde und beschäftigt auch die AV-Branche. Rafael Melson ist beim internationalen Fachverband Avixa für die DACH-Region zuständig. Er sagt, welches Manko die Schweiz bei der Ausbildung von Fachpersonen hat und warum der Fachkräftemangel - zumindest teilweise - ein Marketing-Problem ist.
Welche Themen beschäftigen die AV-Branche momentan?
Rafael Melson: Ein Begriff, den man momentan überall hört, ist der Fachkräftemangel. Egal ob Systemintegrator, Distributor oder Ingenieurbüro - in der AV-Branche leiden alle Unternehmen darunter. Durch den Schub, den die Pandemie der Branche verliehen hat, sind die meisten Unternehmen gewachsen und suchen nun verstärkt nach qualifizierten Mitarbeitenden und gut ausgebildetem Nachwuchs. Gerade für Unternehmen, die ausserhalb der Branche nicht bekannt sind, ist es unglaublich schwierig, Fachpersonen zu finden.
Warum gibt es momentan nicht genügend AV-Fachpersonen?
Aufgrund mehrerer Faktoren. Es gibt zu wenig qualifiziertes Personal im Bereich Technik. Das ist einfach so. Allgemein tendieren junge Menschen in Mitteleuropa dazu, ein Studium statt einer Berufslehre zu absolvieren. Das ist auch in der Schweiz der Fall. Daher fehlt es den handwerklichen Berufen in allen Branchen an Fachpersonen. Vergleicht man Lohn und Aufstiegschancen nach dem Studium mit jenen nach der Berufslehre wird schnell klar, warum viele junge Leute lieber studieren. Der Fachkräftemangel ist aber - zumindest teilweise - auch ein Marketing-und Sichtbarkeitsproblem.
Was meinen Sie damit?
Jedes Unternehmen - unabhängig von der Branche - sollte wissen, wie es geeignete Mitarbeitende anwerben kann. Das scheint noch nicht überall verinnerlicht zu sein. Häufig wird auf einer Jobplattform inseriert, vielleicht noch auf Linkedin gepostet und dann davon ausgegangen, dass sich potenzielle Mitarbeitende schon melden werden. Das reicht aber - zumindest in der AV-Branche - nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit, auf diese Weise einen Techniker oder eine Technikerin zu finden, ist verschwindend gering. Auch ein Headhunter bringt in diesem Fall wenig und kostet nur viel. Eine Fachperson von der Konkurrenz abzuwerben, ändert nichts an der Gesamtsituation. Letztlich müssen Unternehmen dynamischer denken und ganz bewusst Einstiegsmöglichkeiten schaffen. So könnten sie Quereinsteiger ansprechen und ihnen firmenintern die nötigen Aus- und Weiterbildungen anbieten. Vom Monteur zum AV-Techniker etwa. Manche deutsche Hochschule bietet zudem die Möglichkeit, das eigene Unternehmen vor einem Medientechnik-Studiengang zu präsentieren. In diesem Rahmen stellen Firmen ein umgesetztes Projekt vor. Die Studierenden erhalten so mehr Einblick in die Praxis und das Unternehmen kann auf sich aufmerksam machen und sich als potenzieller Arbeitgeber positionieren.
Was tut Avixa, um dem Fachkräftemangel in der Schweiz entgegenzuwirken?
Wir arbeiten formlos mit dem Berufsverband Multimedia Tec Swiss (MMTS) zusammen. Zudem bieten wir auch Seminare mit unserem Partner Stilus an. Des Weiteren haben wir für unsere Schweizer Mitglieder ein Jobportal für den deutschsprachigen Raum. Über dieses Portal konnten wir Schweizer Unternehmen dabei helfen, deutschsprachige Fachpersonen aus der Grenzregion in die Schweiz zu locken. Wir denken aber über Ländergrenzen hinaus und haben in den letzten Jahren regelmässig Studierende an unsere Messen eingeladen oder selbst Jobmessen veranstaltet, um diesen jungen Menschen die gesamte AV-Branche näherzubringen und die Unternehmen mit dem Nachwuchs zusammenzubringen.
Apropos MMTS: Seit März 2022 können Fachleute Kurse zur CTS-Prüfung beim MMTS absolvieren. Wie gut wurde dieses Angebot in Anspruch genommen?
Wir haben bereits vor drei Jahren gemeinsam mit Stilus Certified-Technology-Specialist-Kurse in der Schweiz etabliert. Dann kam die Partnerschaft mit dem MMTS, der nun unsere CTS-Seminare anbietet. Mit Stilus boten wir und bieten wir auch weiterhin Netzwerktechnik-Kurse an. Der Schweizer AV-Markt ist sich durchaus bewusst, dass man in die Mitarbeitenden investieren muss. Die CTS-Kurse waren daher auch sehr erfolgreich. Auch die Netzwerktechnik-Kurse erfreuen sich grosser Beliebtheit. Netzwerktechnik in AV-Systemen ist ein unumgängliches Thema, nicht nur für Festinstallationen, sondern auch für Veranstaltungstechnik. Unsere Seminare dauern jeweils drei Tage und sind relativ intensiv. Wir konstruieren noch weitere Netzwerktechnik-Inhalte und werden künftig einen Add-on-Kurs anbieten.
Welches Know-how haben Kursteilnehmende nach dem Netzwerktechnik-Kurs?
Nach den drei Kurstagen sind Techniker und Technikerinnen in der Lage, entsprechend mit IT-Abteilungen und Endkunden zu kommunizieren und ihnen in deren Sprache zu vermitteln, weshalb in der AV gewisse Dinge anders behandelt werden müssen als sonst in der IT üblich. Ein Netzwerkexperte ist man nach drei Tagen aber noch lange nicht.
Und warum sollten AV-Fachpersonen einen CTS absolvieren?
Beim CTS handelt es sich um eine Zertifizierung. Um den CTS nach ISO-Norm 17024 - das ist die Gutachternorm - zu erhalten, müssen Teilnehmende eine Prüfung bestehen. Damit diese Zertifizierung nicht nach drei Jahren abläuft, müssen sich Inhaberinnen und Inhaber stetig weiterbilden. Sie ist also ein Zeichen für lebenslanges Lernen. Mittlerweilen finden wir den CTS sogar in Ausschreibungen vor. Möchte ein Kunde den Zuschlag nicht nur vom Preis abhängig machen, kann er anhand einer Bewertungsmatrix auch Qualifikationen, die ein AV-Anbieter mitbringt, miteinbeziehen. Es gibt bereits einige Player am Markt, die den CTS bei der Ausschreibung integrieren. Je nachdem, wie man die Stellschrauben drehen will, verschafft der CTS einem Kunden endlich ein Mittel, damit nicht nur der Günstigste oder Unternehmen, die mit einem fast schon unmöglichen Angebot um den Zuschlag buhlen, diesen erhalten.
Planen Sie, noch weitere Kurse/Prüfungen mit dem MMTS oder mit anderen Organisationen in der Schweiz anzubieten?
Wir sind ein unabhängiger Verband und freuen uns, weiterhin mit dem MMTS zusammenzuarbeiten. Es gibt momentan Gespräche über eine weitere Zusammenarbeit, aber da ist noch nichts spruchreif.
Weshalb arbeitet Avixa im Bildungsbereich mit lokalen Organisationen zusammen?
Wir sind eine globale Organisation und in vielen Ländern aktiv. Das ist Fluch und Segen zugleich, weil wir als Verband sehr vielen Tätigkeiten nachgehen und diese auch immer an die Bedürfnisse der jeweiligen Regionen und Märkte anpassen. Dabei müssen wir auch immer wieder Prioritäten setzen. Würden wir selbst regional hier und da Kurse anbieten, würden wir wohl immer hinterherhinken, um genügend Kursteilnehmende zu finden. Deswegen arbeiten wir mit starken lokalen Partnern, denen das Thema Weiterbildung am Herzen liegt und die gut vernetzt sind.
Wie unterscheidet sich die Schweizer AV-Branche von jener in Deutschland und Österreich?
Der Schweizer Markt ist wirklich ein ganz besonderer. Es gibt einige Firmen, die die Transformation zu einem AV-Systemhaus sehr früh und bewusst gegangen sind. Diese Unternehmen haben sich zudem nach Partnern in Europa umgeschaut. Der Schweizer Markt profitiert zudem davon, dass viele globale Konzerne ihren Hauptsitz in der Schweiz haben - oder zumindest in Europa. Bezüglich Bildung gibt es anders als in Deutschland keine spezifischen Studiengänge, was ein kleines Manko ist. Die Ausbildung zum Multimediaelektroniker, die momentan durch den MMTS überarbeitet wird, nähert sich immer mehr den bestehenden Bedürfnissen und dem Bedarf der Industrie an.
Wie wird sich der Pro-AV-Markt kurz- bis mittelfristig entwickeln?
Der Pro-AV-Markt wächst seit vielen Jahren überdurchschnittlich im Vergleich zur Gesamtwirtschaft. Und das weltweit. Auch die Pandemie hat die Pro-AV- und Medientechnik gerade im Vergleich zur eng verwandten Veranstaltungstechnik kaum betroffen oder sogar eher beflügelt. Für die kommenden Jahre erwartet die von Avixa jährlich veröffentlichte IOTA-Studie - Industry Outlook and Trends Analysis - ein gemitteltes jährliches Wachstum von 7,2 Prozent zwischen 2021 und 2026. Die Nachfrage ist weiterhin gross und wird weiterhin wachsen, bremsende Faktoren sind allerdings noch die Supply-Chain-Probleme, die Projekte verzögern oder verhindern können. Die aktuelle IOTA rechnet damit, dass die negativen Effekte der Pandemie im kommenden Jahr endgültig ausgeglichen sein werden.
Avixa ist Miteigentümer der ISE. Welches Fazit ziehen Sie nach der diesjährigen Messe?
Ich konnte dieses Jahr leider nicht selbst vor Ort sein. Die Besucherzahlen sprechen aber für sich und auch mehrere Wochen nach der Messe posteten die Hersteller auf Linkedin über die ISE 2023. Die Tatsache, dass der spanische König einen Abstecher an die Messe machte, ist zudem ein Zeichen dafür, dass die ISE nun wirklich in Barcelona angekommen ist. Durch die Pandemie und den Umzug nach Barcelona sah sich die ISE gleich mit zwei Unsicherheitsfaktoren konfrontiert. Ich glaube aber, dass diese Faktoren die ISE und die loyalen Aussteller noch enger zusammengeschweisst haben. Ausserdem haben wir dieses Jahr an der Messe ein neues Format ausprobiert. Knapp 20 Firmen aus Europa und etwa 200 Studierende und Lernende aus Spanien kamen dabei zu einer Art "Speed Dating" zusammen. Ziel war es, eine Brücke zwischen potenziellen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden zu schlagen.
Wie ist dieses neue Format angekommen?
Bisher war das Feedback sehr gut. Wir befinden uns allerdings noch in der Auswertungsphase. Das Unternehmen Lang AG aus Deutschland hat aber beispielsweise schon zwei spanische Studierende für ein persönliches Vorstellungsgespräch zu sich eingeladen und mittlerweile auch eingestellt. Als die ISE noch in Amsterdam stattfand, hatten wir jeweils etwa 100 Studierende der Medientechnik aus Deutschland dabei. Sie erhielten eine Führung über die Messe. Mit dem neuen Konzept ist es uns nun auch gelungen, die letzte Hürde - also das Herstellen von Kontakten zwischen Studierenden und Ausstellern - zu überwinden. Für die jungen Menschen in Spanien war die Messe ein komplett neues Erlebnis. Obwohl sie aus dem Audio- oder Videobereich kommen, kannten sie die AV-Branche nicht.
persönlich
Rafael Melson (42) ist seit Januar 2017 für die Geschicke von Avixa in der DACH-Region verantwortlich. Nach seinem Vorstellungsgespräch mit Mike Blackman, dem Geschäftsführer der ISE, hat er wie viele andere durch puren Zufall in der AV-Branche Fuss gefasst. Avixa ist Miteigentümerin der ISE. Der Diplom-Kaufmann (FH), der Jahre zuvor in der IT-Beratung tätig war, hat seitdem konsequent die Mitgliedervorteile für AV-Consultants, Systemintegratoren und AV-Veranwortliche in Unternehmen und an Hochschulen ausgebaut und erfreut sich breiter Unterstützung durch engagierte Mitglieder im Verband. Besonders stolz macht ihn der Erfolg der HR-Veranstaltung an der ISE, bei der europäische Unternehmen wie AVI-SPL, Dekom, Lang, Lemanvisio oder Macom jungen spanischen Nachwuchs (Lehrlinge sowie Studierende) kennenlernen konnten, um diesen direkt im eigenen Land einstellen zu können. Melson lebt mit seiner Ehefrau und seinem einjährigen Sohn im malerischen Bad Feilnbach im oberbayerischen Landkreis Rosenheim. (Source: Avixa)