Diese Spuren hat die Pandemie in der Veranstaltungsbranche hinterlassen
Jörg Gantenbeins Start als Präsident des Schweizer Verbands für die technische Bühnen- und Veranstaltungsbranche SVTB ist turbulent gewesen, denn kurz nach seinem Amtsantritt begann die Pandemie. Im Interview sagt er, wie sich der SVTB in der Zeit für die Branche einsetzte, warum er nach Corona ein positives Fazit zog und wie es der Branche heute geht.
Sie sind kurz vor Beginn der Pandemie als Präsident des Schweizer Verbands für die technische Bühnen- und Veranstaltungsbranche SVTB gestartet. Wie war diese Zeit für Sie?
Jörg Gantenbein: Turbulent. Als der Bundesrat das Veranstaltungsverbot am 28. Februar, einem Freitag, ankündigte, war unsere Branche als Erstes betroffen. Wenige Tage später hätte zum Beispiel die Gartenmesse Giardina stattfinden sollen – alles war bereits aufgebaut. Dasselbe galt für viele Konzerte, die für das Wochenende geplant waren. Alle Betroffenen waren schockiert und mussten wohl oder übel wieder abbauen. Die Chefs fragten sich derweil, wem sie nun eine Rechnung schicken sollten.
Was hat der SVTB in dieser Situation als Erstes in Angriff genommen?
Am Sonntag nach Ankündigung des Veranstaltungsverbots riefen wir einen Krisenstab zusammen und entwarfen ein Papier, in dem festgehalten war, wie Betroffene vertragsrechtlich mit der Situation umgehen können. Das Dokument beschrieb, welche Rechte Betroffene haben und enthielt Empfehlungen für den Umgang mit der Kundschaft. Jemand sagte damals, dass wir die Situation schon irgendwie auf die Reihe kriegen, wenn es noch einige Wochen so weitergehe. Unverhofft kommt oft, und wir wissen jetzt, wie lange es tatsächlich gedauert hat.
Was hatte während der Pandemie Priorität?
Für mich als Verbandspräsident war es am wichtigsten, dass kein Betrieb aufgrund der Pandemie Konkurs gehen darf. Glücklicherweise stellte der Bund schnell Überbrückungskredite zur Verfügung und tätigte später auch Entschädigungen für Erwerbsausfälle. Durch die Schliessungen waren auch die Lernenden betroffen. Der komplette praktische Teil ihrer Ausbildung fiel auf einen Schlag weg. Als Berufsverband sind wir für das Qualifikationsverfahren am Ende der Ausbildungszeit verantwortlich. Gemeinsam mit dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) fanden wir eine Lösung zur Anpassung des Qualifikationsverfahrens, sodass auch Lernende, die ihre Ausbildung während der Coronazeit absolvierten, gut ausgebildete qualifizierte Fachpersonen sind. Wir bildeten zudem mit dem Arbeitgeberverband und dem SBFI eine Arbeitsgruppe und lancierten das Projekt Next Generation. Dabei handelte es sich um eine virtuelle Eventreihe. Insgesamt neun Grossveranstaltungen in der Schweiz und Liechtenstein konnten Lernende unter der Leitung eines Lehrbetriebs so umsetzen und durchführen. Auch hiesige Künstlerinnen und Künstler wirkten dabei mit. In Bezug auf die Betriebe und die Lernenden konnten wir ein positives Fazit ziehen, denn es musste kein Betrieb aufgrund der Pandemie Konkurs anmelden und es gab deswegen auch keinen einzigen Lehrabbruch.
Wie gestaltete sich die Arbeit mit den Behörden?
Ich war überrascht, wie schnell und unkompliziert die Abläufe waren. Bundesbehörden, die während dieser Zeit auch anderweitig gefordert waren, reagierten prompt und waren auch übers Wochenende erreichbar. Alle haben mit vereinten Kräften daran gearbeitet, eine wirtschaftliche Lösung zu finden. Nur eine Woche nach Ankündigung des Veranstaltungsverbots stellten wir den Kontakt zum Seco her, wo wir unsere Probleme gemeinsam mit anderen Branchenverbänden vorstellen konnten. Bundesrat Guy Parmelin war dabei ebenfalls anwesend. Ich war erstaunt, wie schnell wir mit unseren Anliegen auf der obersten Ebene angelangt waren. Auch der Austausch mit dem Bundesamt für Kultur – wir haben viele Mitglieder, die dort Subventionen beziehen – war sehr konstruktiv. Wir waren zudem stets im Austausch mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Für uns galt es, herauszufinden wie und in welcher Form wir schnellstmöglich wieder Veranstaltungen durchführen konnten. Daher führten wir eine Studie durch und entwickelten darauf basierend ein Sicherheitskonzept für den Orchesterbetrieb. Wir prüften die Aerosolentwicklung in unterschiedlichen Szenarien, etwa beim Singen und/oder Spielen von Instrumenten in geschlossenen Räumen oder im Freien. Hier zeigte sich der internationale Austausch positiv. Es gab eine gemeinsame Plattform mit Organisationen aus Deutschland und Österreich, auf der alle Studienergebnisse geteilt wurden. Dank der Ergebnisse unserer Studie konnten wir im Juni 2020 den Spielbetrieb reetablieren. Das war sehr wichtig für die Moral der Personen aus der Branche. Es gab endlich ein Licht am Ende des Pandemietunnels.
Wie geht es der Branche heute?
Die Krise hat Spuren hinterlassen und für einige Umstrukturierungen gesorgt. Es gab bereits 2018 und 2019 einen Fachkräftemangel in der Branche. Die Pandemie verschlimmerte diesen noch. Zum Zeitpunkt der Wiedereröffnung hatten wir ein Minus von 25 Prozent an Arbeitnehmenden, wobei die Lage von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich war. Trotzdem musste in der Schweiz 2022 keine Veranstaltung wegen Personalmangels abgesagt werden. Obwohl enorm viele Überstunden geleistet wurden, um einerseits den Personalmangel und andererseits den grossen Nachholbedarf an Events zu decken, gab es keine Unfälle. Ich bin sehr froh, dass das vergangene Jahr so gut verlaufen ist. 2023 kam dann als Überraschung. Ich hatte vermutet, dass es eine gewisse Sättigung geben und dieses Jahr weniger gut ausfallen würde, dem ist bisher aber nicht so.
Und der Fachkräftemangel?
Den konnten wir einigermassen in den Griff bekommen. Es war dazu sicher hilfreich, dass sich Unternehmen Gedanken zu ihren Strukturen und Prozessen machen und diese anpassen mussten. Seit zwei Jahren gibt es zudem sehr viele Lehranfängerinnen und -anfänger. Wir sind enorm froh, dass Unternehmen erkannt haben, wie wichtig es ist, selbst für Branchen-Nachwuchs zu sorgen.
Was für eine Rolle spielen Hybrid-Events und digitale Angebote in der Post-Pandemie-Zeit?
Verschwunden sind solche Event-Formate nicht, sie haben aber eine neue Form angenommen. Unternehmen haben erkannt, dass es einfacher und effizienter ist, gewisse Veranstaltungen online abzuhalten. Zudem hat die klassische Hybrid-Veranstaltung einen neuen Stellenwert erhalten. Man überlegt sich heute gut, ob wirklich alle Teilnehmenden vor Ort sein müssen. Sehr oft ist nur noch ein Teil der Gäste physisch dabei, der Rest erhält einen Onlinezugang.
Sie sind ausser Vereinspräsident auch Geschäftsführer von Eventpartner und SLB Media sowie Lehrbeauftragter bei der TBZ. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
Indem ich mir meine Zeit gut einteile. Ausserdem machen mir alle meine Tätigkeiten enorm viel Freude – auch dank der Personen im Vorstand und der Arbeitskommission. Ich lerne in all meinen Funktionen sehr viele Leute und unterschiedliche Meinungen kennen. Mir ist die Wissensvermittlung enorm wichtig, ausserdem macht mir die Arbeit mit jungen Menschen sehr grossen Spass. Dabei wird man immer wieder vor neue Tatsachen gestellt. Ich habe vermutlich ein bisschen weniger Freizeit als andere, mache dafür aber etwas, das mich erfüllt.
Sie sind noch mindestens bis 2024 als SVTB-Präsident im Einsatz. Was nehmen Sie in dieser Zeit noch in Angriff?
Wir möchten im Verband das Weiterbildungswesen stärker vorantreiben. Zudem sind wir momentan sehr beschäftigt, da sich die Regelungen in technischer Hinsicht ändern. Auch das Thema Nachhaltigkeit steht bei uns auf der Agenda. Wie viele andere Organisationen und Verbände ist der SVTB Mitglied der Energiespar-Alliance des Bundes. Wir möchten ausserdem anhand von konkreten Beispielen aufzeigen, was die Branche tun kann, um nachhaltiger zu werden. Es gilt, die richtigen Weichen zu stellen, damit ein Betrieb immer noch gut arbeiten und trotzdem etwas zur Nachhaltigkeit beitragen kann. Lieber kleine Schritte gehen, dafür die richtigen – das ist meine Grundhaltung.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für die Veranstaltungstechnik-Branche?
Wir sind klassische Dienstleister. Da stellt sich immer die Frage, wie eingeschränkt man im Nachhaltigsein ist. An erster Stelle steht für uns immer die Qualität. Sie darf auf keinen Fall leiden. Nachhaltigkeit kann selbstverständlich auch zur Qualität beitragen, denn sie bezieht sich nicht bloss auf den CO2-Ausstoss oder das Stromsparen. Auch der Umgang mit Mitarbeitenden und soziale Aspekte fallen unter den Begriff. Es ist wichtig, dass Fachpersonen möglichst lange im Berufsleben bleiben, damit ihr grosses Erfahrungspotenzial nicht verloren geht. Unsere Branche ist nicht immer einfach. Die Arbeitszeiten sind unregelmässig, was gerade für Familien schwierig sein kann. Wir erarbeiten daher im Austausch mit unseren Mitgliedern unterschiedliche Modelle, um aufzuzeigen, wie sich Beruf und Familie vereinbaren lassen. Zudem fällt der ressourcenschonende Umgang mit Materialien unter Nachhaltigkeit. Die LED-Technologie bietet uns diesbezüglich einen grossen Vorteil. Wir sprachen vorhin über das Thema Hybrid-Events. Hier kann unsere Branche mit technischen Lösungen und richtiger Beratung dazu beitragen, dass auch andere Unternehmen nachhaltiger agieren. Denn hybride oder Onlinelösungen können verhindern, dass mehr Personen als unbedingt nötig an einen Event im Ausland fliegen und so viel CO2 verursachen.
Persönlich
Jörg Gantenbein (49) ist seit 2019 Präsident des SVTB. Als gelernter Tontechniker und Bühnenmeister führt er eine Unternehmensgruppe im Bereich Veranstaltungstechnik, AV Integrations, IT-Services sowie Ton- und Videoproduktion. Als Lehrperson unterrichtet Gantenbein an der TBZ in Zürich Sicherheitstechnik und Bühnenbau und leitet den FA-BP-Lehrgang Veranstaltungstechniker/in Licht/Bühne. In der Freizeit geniesst er gerne ruhige Stunden in der Natur, am liebsten bei einer Runde Golf.
Schweizer Verband für die technische Bühnen- und Veranstaltungsbranche (SVTB)
Der Schweizer Verband für die technische Bühnen- und Veranstaltungsbranche ist ein klassischer Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverband und vertritt als solcher die Interessen beider Parteien. Entsprechend besteht der Vorstand sowohl aus Unternehmerinnen und Unternehmern als auch aus Arbeitnehmenden in Kaderfunktionen. Die Mitglieder decken ein breites Spektrum ab – vom Theater über das Veranstaltungstechnik-Unternehmen bis zum SRF.
Gemäss SVTB-Präsident Jörg Gantenbein soll der Verband nicht nur als Kommunikationsplattform, sondern auch als Wissensvermittler verstanden werden. Daher lege er grossen Wert darauf, dass die Mitglieder gut informiert und geschult sind. Entsprechend ist der SVTB für den eidgenössischen Abschluss Veranstaltungsfachfrau oder -fachmann EFZ und diverse Weiterbildungen zum/zur Veranstaltungstechniker/in Licht und Ton eidg. FA BP verantwortlich. Zusätzlich kümmert er sich in unterschiedlichen Gremien um Normen respektive Sicherheitsstandards. Der Verband ist international mit der Interessengemeinschaft Veranstaltungswirtschaft (IGVW) vernetzt, die ebensolche Sicherheitsstandards verantwortet. Quelle: SVTB