Warum es der Elektrobranche trotz vieler Lernenden an Fachpersonen mangelt
Thomas Keller ist seit bald einem Jahr Präsident des EIT.swiss. Er spricht über aktuelle Verbandsprojekte wie die Revision der Grundbildungen der Elektroberufe. Zudem sagt er, warum Fachpersonen in Elektroberufen fehlen, obwohl viele Lernende ausgebildet werden.
Sie wurden im Juni 2023 zum EIT.swiss-Präsidenten gewählt. Wie waren die vergangenen Monate für Sie?
Thomas Keller: Juni ist generell ein guter Monat. Da haben meine Frau und ich Geburtstag, wir haben Hochzeitstag und dieses Jahr fiel im Juni zusätzlich der Startschuss für mein Amt als Präsident von EIT.swiss. In den vergangenen Monaten musste ich mich als neuer Präsident erst einmal einfinden. Der vielen Aufgaben, die auf mich zukommen werden, war ich mir im Vorfeld bewusst - etwa der Repräsentationspflicht, die man als Präsident eines grossen Berufsverbandes gegenüber den Mitgliedern und Sektionen hat. Ich war zudem zuvor bereits zwei Jahre lang für den Bereich Berufsbildung zuständig - generell ein sehr grosser Bereich, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Insofern erhielt ich eine gute Vorstellung davon, was mich als Präsident erwarten würde. Dann gab es aber auch Aufgaben, die sich mit der Zeit herauskristallisierten.
Sie waren von 2022 bis 2023 Vizepräsident des EIT.swiss. Wie gross war die Umstellung zum Amt als Präsident?
Bevor ich zum Vizepräsidenten gewählt wurde, war ich 15 Jahre lang Sektionspräsident des EIT.aargau gewesen. Der zeitliche Aufwand als Sektionspräsident war überschaubar. Als Vizepräsident war das Pensum schon etwas höher und als Präsident kam nochmal um einiges mehr Arbeit dazu. Das Amt ist mit sehr viel Recherche- und Kommunikationsaufwand verbunden. Ich beantworte täglich E-Mails, lese Berichte, Fachzeitschriften und andere Texte, um informiert zu bleiben. Im Frühling finden zudem die Generalversammlungen sowohl des EIT.swiss als auch der Sektionen statt. Ich werde häufig gefragt, wie gross das Arbeitspensum als Präsident ist. Ich würde es mit einem 50-Prozent-Arbeitspensum gleichsetzen – mit Luft nach oben.
Sie sind zudem Inhaber und Geschäftsführer der Erhard Keller AG. Wie bringen Sie das mit Ihrem Engagement für den Verband unter einen Hut?
Die Erhard Keller AG habe ich 2002 von meinem Vater übernommen. Ich habe dort das Glück, mit Hanspeter Maurer einen sehr guten Geschäftsleiter und Freund zu haben. Zudem erhielten die Projektleiter und Servicemonteure mehr Verantwortung. So konnte ich mich ein Stück weit aus dem operativen Geschäft zurückziehen. Der Geschäftssitz in Zofingen ist verkehrstechnisch gut gelegen, sodass ich trotz häufiger Reisen als EIT.swiss-Präsident doch noch eine gewisse Präsenz in der Firma haben kann. Ich kümmere mich aktuell vor allem um die Finanzen, die Betreuung gewisser Kunden und interne Aufgaben, die niemand machen will ... Das lässt sich gut mit dem Amt als Präsident vereinbaren.
Unter dem Namen "BiVo2022+" kümmert sich der EIT.swiss um die Revision der Grundbildungen der Elektroberufe. Wie ist dort der aktuelle Stand?
Der Projektstand ist sehr gut. Die Bildungspläne und Bildungsverordnung gingen im Februar in die Vernehmlassung zu den Verbandsmitgliedern respektive Sektionen. Der EIT.swiss ist so aufgestellt, dass die Mitglieder auch Mitglieder der Sektionen sind. Es gab viele Rückmeldungen, sodass wir nun die Bildungspläne finalisieren können. Diese werden dann an der Delegiertenversammlung abgesegnet. Ziel ist es, 2026 mit der neuen Bildungsverordnung starten zu können. Anfänglich hatte das Projekt einen etwas holprigen Start. Ursprünglich hiess es "BiVo 2020". Als dann die Forderung kam, das Projekt noch einmal neu zu lancieren und dabei die Sektionen stärker miteinzubeziehen, erhielt es mit "BiVo 2022+" ein Revival. Alle involvierten Stakeholder, sprich die Sektionen mit den Ausbildungsbetrieben, die Berufsschulen und die Verantwortlichen der überbetrieblichen Kurse (üK), erhielten bei "BiVo 2022+" Mitspracherecht. Das war uns als Verband ein grosses Anliegen.
Warum war die Revision nötig?
Revisionen braucht es. Zuerst war aber einmal die vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation vorgeschriebene Überprüfung der Berufe nötig. Die letzte Überprüfung ist rund neun Jahre her. Damals gab es noch Ausdrücke und Ausbildungsmethoden, die heute in der Praxis gar nicht mehr existieren. Trotzdem mussten sie geprüft werden, da es so im Bildungsplan stand. Hinzu kam die Einführung des Lehrplan 21 und des damit verbundenen handlungskompetenzorientierten Unterrichts. Früher wurde zudem viel genauer definiert, was Lernende können und machen müssen. Heute arbeiten wir hingegen mit Themengebieten, die sich bei späteren Überprüfungen einfach anpassen lassen, damit nicht gleich wieder eine Totalrevision nötig wird.
Mit dem Berufsbild Gebäudeinformatiker/Gebäudeinformatikerin hat der EIT.swiss 2021 zudem einen neuen Beruf lanciert.
Genau. Es war ein rund siebenjähriger Prozess, bis wir 2021 das Berufsbild lancieren konnten. Der Start war eher harzig und auch jetzt ist die Anzahl der Lernenden auf einem relativ niedrigen Niveau. Der Beruf ist komplett neu und ziemlich weit entfernt von der Ausbildung als Elektroinstallateur. Aber er ist wichtig, um die zukünftigen Herausforderungen in der Gebäudeautomation zu lösen. Auch im Hinblick auf die Energiewende. Leider sind viele Betriebe unsicher und wissen teils nicht, ob sie Gebäudeinformatiker und -informatikerinnen ausbilden können. Viele Ausbildungsbetriebe sind zudem keine Verbandsmitglieder. Dessen sind wir uns bewusst und versuchen, mit viel Aufklärungsarbeit und Marketing unsererseits die Rahmenbedingungen zu optimieren, damit die Zahlen steigen.
Des Weiteren überprüft der EIT.swiss die Ausrichtung der bestehenden Berufsprüfungen und höheren Fachprüfungen. Wie ist hier der aktuelle Stand?
Das ist der stetige Lauf bei uns. Wir revidieren und überprüfen laufend. Dadurch, dass die Revision der Grundbildungsberufe bald abgeschlossen ist, war es naheliegend, auch die Berufsprüfung und höheren Fachprüfungen anzupassen. Wir haben dieses Projekt zeitlich versetzt zu "BiVo 2022+" in Angriff genommen, damit wir bereits zu Beginn wissen, mit welchen Kompetenzen die Berufsleute erst die Berufsprüfung und dann die höheren Fachprüfungen in Angriff nehmen werden. Startschuss war Anfang 2024.
Wie stark sind Fachkräfte in der Elektrobranche aktuell gefragt?
Nächste Frage (lacht)! Das Thema Fachkräfte respektive Fachkräftemangel beschäftigt uns und die gesamte Branche stark. Berufsleute, die eine Ausbildung in der Elektrobranche absolvieren, bringen ein grosses Set an Kompetenzen mit. Das sorgt dafür, dass zwar viele Fachkräfte ausgebildet werden, diese dann aber häufig in andere Berufsgruppen abwandern. Als Verband versuchen wir, eine möglichst gute Grundlage zu bieten. Letztlich sind aber auch die Unternehmen gefordert, Nachwuchs auszubilden und gute Mitarbeitende zu behalten. Der Fachkräftemangel kann nicht gelöst werden, indem wir uns in den Ausbildungsbetrieben Lernende abwerben, sondern indem wir den Fokus auf unser hervorragendes duales Berufsbildungssystem legen und dies gemeinsam vermarkten. Unser Ziel muss sein, dies der Politik, den Schulen und vor allem den Eltern zu vermitteln und den Mehrwert einer Berufslehre aufzuzeigen.
Wie steht der EIT.swiss zur Ausbildung von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern?
Das Thema ist für uns relativ komplex, da unsere Berufe einen hohen Sicherheitsaspekt mit sich bringen. Es wäre also schwierig, einen Grundkurs für branchenfremde Personen anzubieten und diese dann mit gutem Gewissen mit Strom arbeiten zu lassen. Ausserdem sind Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger bereits am Arbeitsmarkt und fehlen dann eventuell in ihrer vorherigen Branche. Eine nachhaltige Lösungen für den Fachkräftemangel wäre es also nicht, sondern lediglich eine Umverlagerung der Arbeitskräfte.
Wie stark hat die Coronakrise zum Fachkräftemangel in der Elektrobranche beigetragen?
Wir hatten das Glück, dass die komplette Baubranche während der Pandemie relativ gut weiterarbeiten konnte. Auch Servicearbeiten und der Gebäudeausbau waren - wenn auch teils eingeschränkt - weiterhin möglich. Darum gab es keine grosse Abwanderung während der Pandemie.
Zusätzlich zur Aus- und Weiterbildung engagiert sich der EIT.swiss für die Berufsmeisterschaften auf schweizerischer und internationaler Ebene. Warum sind solche Meisterschaften wichtig?
Wichtig sind vor allem der Stellenwert für die Branche und die Vorbildfunktion, welche die Teilnehmenden für den Berufsstand einnehmen. Diese Meisterschaften bedeuten für unsere Sektionen und uns einen grossen Aufwand, aber es lohnt sich. Gerade wenn die Schweiz an den Europa- oder Weltmeisterschaften einen Podestplatz erreicht, ist die Strahlkraft gross. Bisher waren wir stets mit zwei Berufsbildern an den Europa- und Weltmeisterschaften vertreten. Allerdings konnten wir das eine Berufsbild praktisch nicht mehr abbilden. Die Teilnehmenden mussten noch ein separates Training absolvieren, um die Aufgaben überhaupt erfüllen zu können. Daher sind jetzt nur noch Teilnehmende im Beruf Elektroinstallation zugelassen.
Welche Vorteile haben EIT-Sektionsmitglieder?
Sektionsmitglieder haben einen Kostenvorteil bei den kantonal geregelten üKs. Zudem versuchen wir den Mitgliedern schweizweit ein gutes Angebot in Bezug auf die höhere Berufsbildung zu machen. Ausserdem stellen wir günstige Weiterbildungsangebote, Kalkulationshilfen und einen Rechtsdienst zur Verfügung. Mit "e-chance.ch" haben wir zudem eine Informationsplattform für angehende Lernende in der Elektrobranche. Abgesehen von der Erarbeitung des Gesamtarbeitsvertrags bringt der EIT.swiss die Branche zusammen. Wir bieten eine Plattform für den Austausch untereinander, damit am Schluss allen bewusst ist, dass wir in einem super Beruf unterwegs sind.
Zum Schluss: Was wünschen Sie sich für den EIT.swiss und die Branche?
Wir sind aktuell mit unseren Projekten sehr gut unterwegs. Unsere Berufe haben sehr viele Schnittstellen zu anderen Berufen aus dem Gebäudeausbau und der Baubranche. Auch dort gibt es schweizweit unterschiedliche Verbände und Vereinigungen. Ich würde mir etwas mehr Zusammenarbeit und Austausch wünschen. Letztlich braucht es für ein Bauwerk ganz viele verschiedene Unternehmen und Berufsleute. Wir müssen darum konstruktiv miteinander reden können. Als Verband haben wir bereits das Gespräch mit anderen Verbänden gesucht und möchten künftig darauf aufbauen.
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Persönlich
Thomas Keller (58) ist seit Juni 2023 Präsident von EIT.swiss. Zuvor war er von 2007 bis 2022 Präsident von EIT.aargau. Sein beruflicher Werdegang startete 1982 mit einer Lehre als Elektromonteur. 1995 schloss er die Meisterprüfung mit Erfolg ab. 2002 wurde er Inhaber der Erhard Keller AG durch die Nachfolgeregelung der Familien AG. Thomas Keller und Ehefrau Monika haben vier gemeinsame Kinder im Alter zwischen 22 und 29 Jahren. In seiner Freizeit kümmert er sich ums Rasenmähen oder geniesst mediterrane Köstlichkeiten.