Tennis, Tantiemen und Traumata: Die Geschichte von Tetris
Auch nach über 35 Jahren hat das Konzept von Tetris seinen Reiz für viele Spielerinnen und Spieler nicht verloren. Trotzdem hat der Entwickler kaum etwas am erfolgreichen Spiel verdient. Bevor es seinen globalen Durchbruch hatte, wurde das Game zudem in den Niedergang eines Unternehmens verstrickt.
Tetris ist den meisten Menschen auch im Jahr 2021 noch immer ein Begriff. Also war man nicht komplett ahnungslos bei der Meldung, dass der mehrfache Tetris-Weltmeister Jonas Neubauer überraschend verstorben ist. Nur wenige Games können auf eine so lange Erfolgsgeschichte zurückblicken wie das Spiel mit den Klötzchen, während der Entwickler kaum etwas daran verdient. Und nur wenige Games trugen so zum Niedergang eines Unternehmens bei, wie Tetris es tat. Aber alles der Reihe nach.
Tetris erblickt das Licht der Welt
Der Klassiker Tetris entstand 1984 an der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Der Programmierer Alexei Paschitnow wollte das Puzzlespiel Pentomino in ein Computerspiel übertragen. Beim Spiel, das Paschitnow aus der Kindheit kannte, müssen aus 12 Spielsteinen Figuren oder Flächen gelegt werden - ähnlich wie bei Tangram. Die Spielsteine bestehen aus je fünf gleichgrossen Quadraten und verleihen dem Spiel "Pentomino" so seinen Namen: Das altgriechische Wort "Penta" bedeutet auf Deutsch "Fünf". Da die Tetris-Steine nur aus vier anstatt fünf Quadraten bestehen, handelt es sich bei den Formen im Game entsprechend nicht um "Pentominos", sondern um "Tetraminos". Der Begriff enthält bereits die erste Hälfte des Namens "Tetris". Die zweite Hälfte stammt von Paschitnows Lieblingssport: Tennis.
Der Kollege Vadim Gerasimov half Paschitnow, die erste Version des Spiels vom Gerät Elektronika 60 auf einen IBM-PC zu übertragen. Bald unterhielt Tetris die gesamte Belegschaft. Im Jahr 1985 entstand die erste Farbversion des Games. Paschitnow versuchte zu Beginn, Tetris und andere selbst entwickelte Spiele zu verkaufen, doch er scheiterte. Darauf verteilten er und Gerasimov Gratiskopien der Games an ihre Freunde, worauf sich die Spiele in der Sowjetunion und dem ganzen Ostblock verteilten.
Tetris geht um die Welt - und hinterlässt seine Spuren
In Ungarn entdeckte schliesslich der Geschäftsmann Robert Stein von Andromeda Software Tetris. Nach einer formlosen Bestätigung des Computerzentrums in der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften glaubte Stein sich im Besitz der Rechte für sein Unternehmen und verkaufte sie an die britische Firma Mirrorsoft der Maxwell Corporation und an das US-amerikanische Unternehmen Spectrum Holobyte. So fand das Spiel seinen Weg in die westliche Welt.
Die Zeit brachte viele Tetris-Varianten hervor. (Source: Youtube)
Doch nach dem Verkauf meldete sich die Staatsfirma Elektronorgtechnica (Elorg), die für die zentrale Vermarktung von sowjetischen Softwareprodukten zuständig war. Stein habe die Rechte für das Spiel nie erhalten. Also sicherte sich der Geschäftsmann danach noch offiziell die Rechte an Tetris für Personal- und Heimcomputer. Das markierte den Anfang des folgenden Lizenzkriegs. Mirrorsoft nahm nämlich mit dem Unternehmen Atari Games Kontakt auf, um Tetris für Spielkonsolen zu produzieren - ohne sich bewusst zu sein, dass es die entsprechenden Rechte gar nicht besass. Ausserdem verkaufte Atari Games die Rechte weiter nach Japan.
Irgendwann fiel Elorg auf, dass etwas nicht stimmte - und deckte in der Folge die Lizenzüberschreitungen auf. In den darauffolgenden Neuverhandlungen der Rechte ging Nintendo im Bereich der Konsolen als Sieger hervor: Das Unternehmen sicherte sich die Handheld-Rechte und die Konsolen-Rechte für Tetris. Atari Games, das schon Millionen in Entwicklung und Vertrieb entsprechender Produkte investiert hatte, strebte eine Gerichtsverhandlung gegen Nintendo an und verlor. In der Folge musste das Unternehmen Hunderttausende von Spielmodulen vernichten - ein schwerer Schlag für Atari Games und einer der Gründe für seinen Niedergang.
Tetris feiert seine grössten Erfolge
Nintendo verhalf Tetris zum globalen Durchbruch. Für die Konsole NES (Nintendo Entertainment System) ging das Spiel über 8 Millionen Mal über die Theke. Als beigelegtes Spiel zum Game Boy verhalfen sich die mobile Konsole und das Game gegenseitig zum Erfolg. Im Netz finden sich verschiedene Angaben zu den Zahlen, doch erwarben Kundinnen und Kunden bis zu 70 Millionen Game Boys und damit Tetris-Games.
Der Entwickler Paschitnow erhielt seine ersten Tantiemen hingegen erst im Jahr 1996, als das meiste Geld für Tetris bereits geflossen war. Davon Leben konnte er zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr. Als der Rechtsstreit um die Lizenzen losging, entschied sich Paschitnow, seine Rechte für 10 Jahre der Moskauer Wissenschaftsakademie zu übertragen. Er fürchtete, andernfalls sein Leben lang vor Gericht um seine Rechte kämpfen zu müssen. Stattdessen wurde er Gamedesigner und arbeitete unter anderem bei Microsoft an verschiedenen Puzzle-Games. Zwar reichte keines an den Erfolg von Tetris heran. Aber gemäss einem Interview, das Paschitnow im Jahr 2007 "Golem" gab, bereute der Gamedesigner seine damalige Entscheidung nie.
Tetris in ungewohnten Umgebungen
Wenn auch der Rummel um das Game abgeklungen ist, hat Tetris sich als Klassiker etabliert und ist den meisten Menschen auch heute noch ein Begriff. Dabei nimmt der Kult um das Spiel zum Teil lustige Züge an: Im Jahr 2007 etwa wurde der L-Block in "GameFAQs" jährlichem Popularitätswettbewerb von Videospielcharakteren zum Sieger gekürt.
Aber auch ausserhalb der Gaming-Branche machte sich das Spiel einen Namen. Bereits mehrfach wurden etwa die psychologischen Aspekte des Games untersucht. So wurde etwa über eine Studie zum Einfluss von Tetris auf posttraumatische Belastungsstörungen, die nach Traumata auftreten, berichtet. Wie "Süddeutsche" schreibt, kam die Studie zur Erkenntnis, dass das Game einzelne Symptome von posttraumatischen Belastungsstörungen in der Woche nach dem traumatischen Ereignis abschwächen kann.
Tetris hat kürzlich auch im Bereich des Tourismus von sich reden gemacht. Wie "Pressetext" schreibt, haben Informatiker der Universität Trient in einer Studie einen Algorithmus namens "RoomTetris" getestet. Er vergibt Hotelzimmer erst beim Eintreffen der Gäste und stapelt dabei "Buchungs-Blöcke" optimal in freie Zimmer-Zeilen. So könne die Raumauslastung optimiert werden.
Tetris heute: Weltmeisterschaften und Battle-Royale-Tetris
Die grösste Aufmerksamkeit erlangt Tetris aber auch heute noch schlicht als Game. Noch immer finden Weltmeisterschaften statt und ständig werden neue Versionen des Games veröffentlicht, für einzelne wie auch mehrere Spieler.
Eine der auffälligeren aktuellen Versionen des Games veröffentlichte Nindendo im Jahr 2019. "Tetris 99" für die Nintendo Switch tritt im Battle-Royal-Stil auf, wie etwa "PUBG" oder "Fortnite". 99 Spieler spielen parallel gegeneinander Tetris. Spielerinnen und Spieler können nach bestimmten Kriterien automatisch oder manuell wählen, wer von der Konkurrenz die im eigenen Spiel abgebauten Reihen erhält. So können Gamer und Gamerinnen der Konkurrenz "reinpfuschen" und das Spiel erschweren. Gewonnen hat, wie in Battle-Royal-Spielen üblich, der letzte "Überlebende". Punkte sind zum Gewinnen nicht mehr relevant.
Bei "Tetris 99" spielen 99 Spieler und Spielerinnen gleichzeitig gegeneinander. (Source: Youtube)
An solchen Beispielen zeigt sich eindrücklich: Auch wenn Tetris bereits eine lange Geschichte hinter sich hat - Geschichte ist das Game noch lange nicht.
Eine kürzlich veröffentlichte Langzeitstudie zum Thema Gaming befasste sich zwar nicht mit Tetris, sondern mit Videospielen mit gewalttätigen Inhalten. Das Fazit der Forscherinnen: Gewalt-Games machen auch über längere Zeit hinweg nicht gewalttätig.