Weshalb Digital Signage von Standort zu Standort geplant werden muss
JLS Digital ist bei den Best of Swiss App Awards 2019 mit einem Digital-Signage-Projekt angetreten. Patrick Minder, CEO der Agentur, klärt darüber auf, weshalb man Inhalte standortspezifisch planen muss und was Mammuts mit der Zukunft von Digital Signage zu schaffen haben.
JLS Digital ist an den Best of Swiss App Awards 2019 mit einem Digital-Signage-Projekt angetreten. Wie kommt ein Digital-Signage-Projekt an eine Award-Night für Apps?
Patrick Minder: Eine Mobile App kann grundsätzlich als weiterer Kommunikations- und Interaktionskanal betrachtet werden, der im stationären Vertrieb für das Marketing eingesetzt werden kann. Gerade die Verschmelzung verschiedener Kanäle bringt für Retail- oder Dienstleistungsunternehmen viel Potenzial, um das Kundenerlebnis zu verbessern, Umsätze zu steigern oder Prozesse zu vereinfachen. Im erwähnten Projekt haben wir eine interaktive Beratungslösung für die Berner Kantonalbank geschaffen, welche mit Hilfe von Digital Signage erlaubt, Beratungen in der Kundenzone der Filialen zu beginnen und später auf dem Tablet im Beratungszimmer fortzusetzen. Dafür haben wir verschiedene Expertisen aus unserem Haus kombiniert.
Wie wichtig ist das Smartphone im Digital-Signage-Markt?
Das Smartphone spielt eine immer wichtigere Rolle, weil sich das Konsumentenverhalten verändert hat. Die Frage ist, was das Smartphone für eine Rolle in der Interaktion spielt. Digital Signage eignet sich sehr gut als Hauptkanal, um Werbebotschaften zu kommunizieren. Mit zusätzlichen Lösungen können wir die Kommunikationswirkung nun verlängern. Wir können etwa über Plug-Ins wie AYMO von APG|SGA dem Kunden die Botschaft später nochmals auf das Smartphone bringen oder über unsere Schnittstellen Interaktionen mit den Inhalten ermöglichen.
Wie wichtig wird die Interaktion mit Digital Signage in Zukunft werden?
Interaktivität wird an Bedeutung gewinnen. In den letzten Jahren wurde bereits viel gemacht, doch meistens primär weil man es konnte, nicht unbedingt weil es sinnvoll war. Ich denke hier etwa an den Einsatz von interaktiven Touchlösungen im stationären Handel oder von Beacons, um Promotionskommunikationen als Push-Messages auf das Smartphone zu bringen. Man hat vor allem aus einer Technologieperspektive heraus agiert. Ich glaube, man muss sagen, dass die letzten Jahre waren vor allem gut waren, um herauszufinden, was nicht funktioniert. Aber Interaktivität wird verstärkt kommen. Ein wesentlicher Punkt ist: Die digitalen Kanäle können helfen, Vertriebsprozesse und Kommunikationsprozesse anders zu gestalten und so das Engagement mit der Marke zu erhöhen. Dafür kann Interaktivität förderlich sein. Die grosse Herausforderung ist sicher, den Konsumenten überhaupt dazu zu bringen, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, beziehungsweise ihn zur Interaktion zu bewegen. Also sollte die Frage eigentlich nicht lauten, welche Technologien wir einsetzen wollen, sondern was wir damit machen und ob die Anwendung für den Konsumenten von Nutzen ist.
Welche Technologie-Trends sind denn im Digital-Signage-Bereich zu beobachten?
Der Markt ist in allen Dimensionen in Bewegung. Bei den Display-Technologien sehen wir eine grosse Dynamik mit unterschiedlichen Technologieansätzen wie LCD, LED und OLED. Mit zunehmender Leuchtstärke werden hochqualitative Schaufenster- und Ausseninstallationen immer erschwinglicher. Neuere Ansätze wie OLED und transparente Lösungen müssen sich dabei im Feld noch beweisen. Weiter wandeln sich die klassischen Digital-Signage-Content-Management-Systeme zu Digital-Experience-Plattformen, mit welchen verschiedene digitale Touchpoints orchestriert werden können. Dazu gehören etwa Websites, Apps und Augmented Reality. Immer wichtiger wird auch, dass der Betrieb der Installationen hocheffizient abgewickelt werden kann. Nicht zuletzt wandelt sich die Kommunikation selbst. Die Inhaltsproduktion muss immer stärker automatisiert werden und durch den Einsatz neuer Datenquellen intelligent gesteuert werden. Diese Daten kann man zum Beispiel über Sensoren gewinnen.
Eine solche Datenbasis ist die sogenannte "Währung DooH", die im Oktober 2019 lanciert wurde. Damit sollen Leistungswerte von DooH-Flächen gemessen werden können. Wie schätzen Sie diese Währung ein?
Es ist wichtig für die Werbeauftraggeber, dass es eine einheitliche Währung gibt für die Bewertung von Werbeflächen. Der Nutzen ist aber immer eine Frage des Anwendungsfalls. Im Bereich DooH ist es sicherlich der richtige Ansatz und lässt sich ja auch problemlos mit anderen Ansätzen kombinieren. Die Polemik, welche in diesem Kontext festzustellen ist, erstaunt mich teilweise und ist liegt wahrscheinlich primär an den unterschiedlichen Interessen der Marktteilnehmer. In klassischen Digital-Signage-Netzwerken spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. So eine Währung ist etwa für den Retailer nicht unbedingt wichtig, ausser er will Werbeplätze weitervermieten. Im Normalfall interessieren Faktoren wie Absatzsteigerung, Frequenzsteigerung und Kosteneinsparungen viel mehr.
Die Signage-Inhalte in einem Retail-Geschäft sehen im Vergleich zu einem Display an einer Autobahn anders aus. Wie unterscheiden sich denn Indoor- und Outdoor-Signage?
Die Unterschiede basieren auf verschiedenen Verhaltensmustern, was auch andere Anforderungen mit sich bringt. Bei einer klassischen Retailfläche oder vielleicht sogar in einer Kassensituationen halten sich Leute eine gewisse Zeit auf, sie schauen also etwa 4 bis 5 Sekunden auf einen Kommunikationspunkt. Anders ist es in einer typischen Schaufenstersituation, wo sich der durchschnittliche Konsument nur ungefähr 4 bis 5 Sekunden im Sichtfeld des Kommunikationspunkts befindet. In einer derartigen Situation betrachtet ein durchschnittlicher Konsument das Schaufenster zwischen 1 bis 2 Sekunden, sofern sich nicht etwas wie eine Bushaltestelle in der Nähe befindet. Allein das stellt ganz eigene Herausforderungen an die Kommunikation: Die Inhalte müssen kurz, knackig, schnell animiert sein und es muss mit starken Farbkontrasten gearbeitet werden.
Das klingt nach viel Planungsaufwand.
Generell kann man festhalten, dass durch die fortlaufende Verbreitung von DooH-Werbeflächen auch die Herausforderung grösser wird, gute Digital-Signage-Inhalte zu produzieren. Alles muss knalliger, schneller, farbiger werden. Das bringt natürlich wieder Einschränkungen mit sich, sei es wegen Regulatorien, der Lichtverschmutzung oder auch der Verkehrssicherheit. Man muss einiges bedenken, wenn man etwa ein Fenster gegenüber von einem Fussgängerstreifen ausrüsten möchte.
Also plant man von Standort zu Standort?
Unbedingt! Am Ende des Tages entfaltet ein Kommunikationspunkt nur dann seine Wirkung, wenn er richtig platziert sowie materialisiert ist und die Inhalte Faktoren wie Lage, Zielgruppe oder Tageszeit berücksichtigen. Aber damit ist nicht nur das physische Umfeld gemeint. Wenn man ein Schaufenster an einem Standort eines Bürokomplexes hat, wo die Leute morgens auf dem Weg zur Arbeit vorbeigehen, muss man andere Inhalte spielen, als wenn der Bildschirm primär von jungen Menschen im Nachtleben frequentiert wird. Auch der Mensch, der sich an den jeweiligen Standorten aufhält, spielt eine wesentliche Rolle bei der Planung.
Sie haben erwähnt, dass sich DooH-Werbeflächen fortlaufend verbreiten. Wie sieht es denn mit der Energieeffizienz aus, wenn man beginnt, alle Plakate durch Bildschirme zu ersetzen?
Der Branchenführer JCDecaux hat am WEF ja die gewagte Aussage gemacht, dass die Branche dank DooH immer ökologischer wird. Dabei ist aber der Nebensatz verloren gegangen, dass diese Rechnung nur dann aufgeht, wenn die Verbreitung von DooH in einer reduzierten Anzahl Kommunikationspunkte resultiert. Mit der heutigen Technologie ist es nach wie vor so, dass ein digitales Plakat sehr lang im Einsatz sein muss, damit es ökologisch besser wegkommt als ein klassisches Printplakat, das ungefähr einmal pro Woche gewechselt wird. Grundsätzlich muss man trotzdem festhalten, dass die ökologischen Emissionen im Betrieb tiefer sind als im Printbereich. Der Stromverbrauch ist relativ gering und vieles kann man heute über Remote-Monitoring machen. Aber nichtsdestotrotz verbaut man ein Display, was mindestens in der Produktion viel Energie kostet.
Ungeachtet der Energieeffizienz bedeutet eine wachsende Anzahl Kommunikationspunkte aber auch eine höhere Nachfrage nach Displays. Wie hat sich denn letztes Jahr die Nachfrage nach Digital-Signage-Lösungen in der Schweiz entwickelt?
Grundsätzlich sehr gut. Wir bemerken in allen Branchen, dass Filialformate neu konzipiert werden und natürlich spielen digitale Medien hierbei eine wichtige Rolle. Die stationären Kanäle gewinnen wieder an Bedeutung, als ob sich Retailstores gegen den Onlinehandel aufbäumen. Ausserdem sind die Hardware-Preise sehr stark gefallen in den letzten Jahren. Dabei gab es substanzielle Veränderungen, die die Technologie selbst erschwinglich gemacht haben.
Haben sich dementsprechend auch die Anforderungen der Schweizer Kunden an die Lösungen und die Produkte verändert?
Ja, definitiv. Einerseits sieht man einen hohen Anspruch der Kunden an die Integration in die Innen- und Aussenarchitektur. Einfach einen Bildschirm an die Wand zu hängen, ist nicht mehr genug. Die häufigste Anforderung ist, dass die Lösung nahtlos in das Retailstore-Konzept, die Inneneinrichtung oder die Schaufenstergestaltung integriert werden muss. Ausserdem steigen die Anforderungen im Bereich der Aussteuerung der Inhalte. Ein Digital-Signage-Spot sollte nicht abertausende Franken kosten, denn es ist ein sehr kurzlebiges Medium. Entsprechend versucht man, einen hohen Automatisierungsgrad in der Contentproduktion zu erreichen. Schliesslich haben sich die Kundenansprüche auch bezüglich der Messbarkeit verändert. Die Relevanz des Kanals soll aufgezeigt und dynamisch auf die Veränderungen im Umfeld reagiert werden. Das wird unter anderem durch den Kostendruck im Marketing bedingt. Es muss belegt werden, dass die Investitionen auch tatsächlich etwas bringen.
Sie waren Anfang 2018 der Meinung, dass der Digital-Signage-Markt in der Schweiz vergleichsweise wenig durchdrungen ist. Wie sieht es heute aus?
Nach wie vor gleich. Der Digital-Signage-Markt der Schweiz ist in den letzten 10 Jahren stark durch die Retailbanken geprägt worden, die die Technologie sehr früh adaptiert haben. In allen anderen Segmenten ist es nach wie vor eine Minderheit der potenziellen Kunden, die Digital Signage überhaupt einsetzen. Dazu gehören etwa Retail, Systemgastronomie und Transportation. Dennoch ist Digital Signage und DooH heute natürlich viel sichtbarer im öffentlichen Raum. Dies hat primär damit zu tun, dass die Aussenwerber wie APG oder ClearChannel vermehrt Printplakate mit DooH substituieren. Aber im Vergleich etwa zu Asien sind wir nach wie vor noch in einer Frühphase des Marktes.
Wie sieht es denn aus im Vergleich zum Rest der Welt? Wie steht die Schweiz so da im globalen Signage-Markt?
In der Qualität der Umsetzungen sind wir Weltklasse. Von der Positionierung in der Customer Journey über die Materialisierung, der Integration in die Architektur, der Wahl der Technologie bis zu den Inhaltskonzepten sehen wir im Schweizer Markt eine Vielzahl hochqualitativer, flächendeckender Umsetzungen, die sehr konsistent betrieben werden. Was aber auffällt: Im Ausland ist dafür alles ein bisschen grösser, lauter und ein frecher. Da dürfte man in der Schweiz durchaus noch ab und an eine Schippe drauflegen. Die Kommunikation hierzulande ist generell eher dezenter, sei es in der Animation, der Farbgebung oder auch in der Geschwindigkeit.
Was ist der Grund für die Unterschiede zwischen der Schweiz und dem Ausland?
Einerseits gibt es sicher kulturelle Unterschiede, die wir in allen anderen Werbedisziplinen auch sehen. Andererseits ist es sicherlich auch die Konsequenz der noch eher geringen Marktdurchdringung. In den letzten 5 bis 7 Jahren war eine Digital-Signage-Installation schon deshalb erfolgreich, weil man sie hatte. Das hat bereits gereicht, um Aufmerksamkeit zu generieren. Wenn die Marktdurchdringung steigt, steigt wiederum die Konkurrenzsituation der Werbung im öffentlichen Raum. Dann müssen Unternehmen wieder verstärkt anfangen, sich über Inhalte zu differenzieren.
Also sind wir noch ein Stück weg vom Schweizer Timessquare?
Ja. Die Frage ist grundsätzlich schon, ob es einen Ort gibt, wo so etwas realisiert werden könnte und ob es überhaupt zu der Schweiz oder einer Schweizer Innenstadt passen würde. Ich masse mir hier kein Urteil an. Allerdings darf man auch erwähnen, dass es in der Schweiz ikonische Umsetzungen gibt. Man denke beispielsweise an die 7 Meter grosse interaktive Bahnhofsuhr, welche wir am SBB-Hauptsitz in Bern Wankorf umsetzen durften oder die grosse LED-Installation von PKZ in der Zürcher Bahnhofstrasse. Was mir an den beiden Umsetzungen besonders gefällt, ist die Ausgestaltung. Es handelt sich nicht einfach um grosse Bildschirme, sondern um Kunst am Bau.
Zum Schluss noch ein Ausblick: Marktforscher prognostizieren, dass Digital Signage im Jahr 2020 einer der wichtigsten Treiber des Werbemarktes der Schweiz sein wird. Wie sehen Sie das?
Da stimme ich zu. Der Konsument hat sich der Werbung angepasst. Denken wir 20 Jahre zurück, als oben rechts auf den Webseiten die ersten Werbebanner aufgetaucht sind. Die Menschen haben gelernt, dass sie beim Öffnen einer Webseite oben links hinschauen, denn dort hat es keine Werbung. Also hat man begonnen, oben links Werbung zu spielen, worauf der Konsument angefangen hat, in die Mitte der Webseite zu gucken und so weiter. Der Mensch versucht, Werbung zu umgehen, und das wird sich nicht ändern. Was der Mensch nicht umgehen kann, sind evolutionäre Urtriebe. Wir reagieren auf Bewegung, weil Bewegung Gefahr bedeuten kann. Früher mussten wir uns vor dem Mammut in Acht nehmen, heute vor dem Auto. Wir werden auch in den nächsten 10 bis 15 Jahren auf Bewegung reagieren. Digital Signage und DooH erlaubt uns, Werbeflächen im öffentlichen Raum mit Bewegung zu versehen, wodurch wir auch in Zukunft ein hohes Mass an Aufmerksamkeit erhalten. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass Digital Signage einer der wesentlichsten Werbetreiber bleiben oder sich sogar noch stärker positionieren wird.