Interview mit Luca Giuriato, Analyst bei GfK

"Am Black Friday herrschte Wahnsinn"

Uhr

Luca Giuriato ist der Schweizer Consumer-Electronics-Marktexperte schlechthin. Seit 22 Jahren analysiert er die Schweizer Marktzahlen. Zum 5-Jahr-Jubiläum von"CEtoday" hat der GfK-Analyst Fragen zu den Markttrends beantwortet.

Luca Giuriato, Senior Market Consultant, GfK Switzerland. (Quelle: Netzmedien)
Luca Giuriato, Senior Market Consultant, GfK Switzerland. (Quelle: Netzmedien)

"CEtoday" gibt es seit 5 Jahren. Wie erlebten Sie die vergangenen 5 Jahre im Schweizer CE-Markt?

Luca Giuriato: Der Unterhaltungselektronikmarkt ist stark rückläufig. In den letzten Jahren kam der Fotomarkt massiv unter die Räder, zurzeit verliert er aber nicht mehr im selben Ausmass. Momentan leidet eher das Segment der Fernseher.

Wie entwickelte sich der Schweizer TV-Markt in den ­vergangenen 5 Jahren?

Vor 2012 kamen Innovationen wie Flachbildfernseher auf den Markt, die für einen Aufwärtstrend im gesamten Unterhaltungselektronikmarkt sorgten. Doch es war klar, dass das Wachstum nicht ewig weitergehen konnte. Der Markt verkaufte pro Jahr 900 000 Fernseher bei 3,5 Millionen Haushalten in der Schweiz. Vor 5 Jahren kam dann die logische Stagnation. Zwar löste die Abschaltung des Analogsignals nochmals einige TV-Käufe aus, doch der Markt ist seit Jahren rückläufig.

Welche Entwicklung erwarten Sie für dieses Jahr im ­TV-Markt?

Wir liegen jetzt schon unter der Prognose von 540 000 ­Geräten. Es werden dieses Jahr wohl insgesamt etwa 100 000 Geräte weniger sein als prognostiziert. Momentan sind wir mengenmässig bei minus 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Wie haben sich die Preise für Fernseher entwickelt?

Über den Preis wurde nie gross diskutiert, weil mehr Geräte verkauft wurden. Im Jahr 2006, als die ersten Flachbildschirme auf den Markt kamen, kostete ein Fernseher durchschnittlich 2085 Franken. Seit 2012 liegt der Preis bei etwa 969 Franken. Doch die Fernseher werden immer grös­ser und die Technologien immer besser. Auf die Bildschirmgrösse gerechnet beträgt der Preiszerfall nach wie vor rund 20 Prozent.

Warum geben die Menschen in der Schweiz heute ­weniger Geld für Consumer Electronics aus?

Es ist nicht so, dass die Leute kein Geld haben, sie geben es einfach nicht für Dinge aus, die sie schon haben. Es fehlen Innovationen, und wenn es sie gibt, verstehen die Kunden sie nicht. Bei unseren Umfragen zeigte sich, dass die wenigsten Konsumenten Begriffe wie HDR, 4k oder OLED kennen. Man hat den Kunden in letzter Zeit so viele Fachbegriffe um die Ohren gehauen, dass sie nicht mehr daran interessiert sind.

Hat die CE-Branche an Glaubwürdigkeit verloren?

Das glaube ich nicht. Die Leute sind einfach sehr genügsam. Schon beim Wechsel vom analogen zum digitalen TV-Signal musste man sie fast schon zum besseren Bild zwingen. Das Verständnis für Innovationen fehlt bei vielen Kunden. So glauben einige, dass sie schon ein 4k-Bild haben, wenn sie nur einen 4k-TV kaufen.

Ist die Industrie schuld am fehlenden technischen ­Verständnis der Kunden?

Nein, die Industrie hat ihre Innovationen schon immer sehr technisch kommuniziert. Das Kaufverhalten hat sich verändert. Früher gingen die Leute öfter in den Fachhandel. Dieser erklärte ihnen die Vorteile eines Geräts. Heute kaufen die Kunden online ein, ohne Beratung, aber zum günstigsten Preis. Die Preissensibilität ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. So haben die Konsumenten gelernt, dass es immer irgendwo eine Aktion zum gewünschten Gerät gibt.

Digitec gibt es seit über 15 Jahren. Wie nehmen Sie den Schweizer CE-Onlinehandel wahr?

Ich habe den Pioniergeist der Onliner miterlebt. Aber die Zeiten sind vorbei, in denen einer in der Garage von günstigen Infrastrukturen profitiert und sehr preisaggressiv auftritt. In den vergangenen 5 Jahren trat eine Professionalisierung unter den Onlinehändlern ein. Heute ist nicht mehr der Preis ausschlaggebend, sondern das Kauf-Feeling, das Vertrauen in den Anbieter und der Convenience-Aspekt.

Ist die Konsolidierung bei den Onlineshops zu Ende?

Ja, da zeichnet sich ein Ende ab, auch weltweit. Im Online-CE-Handel wird es für neue Anbieter schwierig, nur Amazon hätte wohl noch die nötige Power für einen Markteintritt.

Kommt Amazon in die Schweiz?

Das ist schwierig abzuschätzen. Die hohe Kaufkraft spricht für einen Markteintritt in der Schweiz. Es gibt aber auch Hürden bei der Verzollung und dem Handling. Deshalb glaube ich, dass Amazon die Schweiz auf dem Radar hat, aber erst noch andere Länder betreten will.

Sie sprachen die hohe Kaufkraft in der Schweiz an. Wofür ­geben wir heute Geld aus, wenn nicht mehr für Consumer Electronics?

Das Spannende an der GfK ist ihre breite Sicht. Wir sehen in mehreren Branchen, wo es Zuwächse gibt. Der Multimediamarkt ist momentan stark gesättigt, deshalb geben die Leute wenig Geld aus. Wir stellen eine Verlagerung in die Bereiche Freizeit, Erlebnisse, Reisen sowie Heim und Wohnen fest. Das Wohnen hat heute einen enorm hohen Stellenwert, das sieht man nicht unmittelbar im Möbelmarkt, aber im Zubehörbereich. Da entsteht eine neue Branche an Heimdekorationsläden.

Bieten sich dabei Chancen für den CE-Handel?

Ja, aber nur am Rande. Retro ist ein Trend, den in der Unterhaltungselektronik etwa Hersteller mit Produkten im Vintage-Stil bedienen. Aus diesem Grund ist auch die ­Vinyl-Schallplatte wieder beliebt. Das reicht aber bei Weitem nicht, um den Rückgang im CE-Markt aufzuhalten.

Wo sehen Sie Wachstumschancen im CE-Markt?

Wir sprechen von Nischen mit Wachstumschancen. Ich sehe etwa bei Gaming ein starkes Plus, angefangen bei Monitoren über PCs bis zur Peripherie. Dafür sind die Kunden bereit, mehrere tausend Franken auszugeben. Auch bei vernetzten Produkten sehe ich Wachstum. Wearables sind etwa ein Bereich, der stark wächst, und auch im Smarthome sehe ich Chancen.

Nach TV ist Audio das zweitwichtigste Segment im Schweizer CE-Markt. Welche Entwicklung erwarten Sie im Audiomarkt?

Plattenspieler sind eine Nische. Nach wie vor eine wichtige Rolle spielen Bluetooth-Speaker und der Multiroom-Bereich mit kontinuierlich leichtem Wachstum. Dramatisch ist die Situation im Bereich 5.1 Home Cinema, der nur teilweise durch Soundbars kompensiert werden kann. Soundbars leiden ebenfalls, aber nicht so stark wie Fernseher.

Wie ist die Entwicklung der Attachment Rate im Schweizer CE-Handel?

Bei grossen Fernsehern ist sie immer noch gut. Aber bei einem 40-Zöller fürs Schlafzimmer braucht es nicht unbedingt eine Soundbar dazu.

Welche Entwicklung im Schweizer CE-Markt erwarten Sie im zweiten Halbjahr?

Wir hatten eine sehr schwache Entwicklung in den ersten vier Monaten. Ich erwarte aber eine leicht bessere Entwicklung im zweiten Halbjahr, weil schon das zweite Halbjahr 2016 so schlecht war. Mit Ausnahme des Black Friday erlebten wir einen starken Rückgang. Ausserdem findet diesen Sommer kein grosser Sportanlass statt, deshalb wird es wohl keine Kompensierungseffekte im zweiten Halbjahr geben.

Welche Relevanz hat der Black Friday im Schweizer Handel?

Dieses Phänomen gab es erstmals vor zwei Jahren, aber damals noch mit geringen Auswirkungen. Letztes Jahr herrschte am Black Friday der Wahnsinn. Im Vergleich zur Vorjahreswoche gab es einen Zuwachs von 36 Prozent im Fotomarkt und fast 60 Prozent im TV-Markt. Letztes Jahr gab es auch erstmals einen Cyber Monday. Da setzte der Handel einen neuen Massstab mit extremen Rabatten. Aber prompt folgten einige Kompensationswochen, weil die Leute das Geld nicht zweimal ausgeben. Am Ende verschenkt der Handel Umsatz.

Was bedeutet diese Entwicklung für den Schweizer ­CE-Markt?

Dass der Kunde die Erwartungshaltung hochschraubt. So werden die regulären Aktionen im gesättigten und deshalb ohnehin schon auf Promotionen getriebenen Markt immer schwächer. Aber man muss als Händler am Black Friday teilnehmen, weil sonst der Umsatz fehlt.

Sollte auch der Fachhandel am Black Friday teilnehmen?

Das ist schwierig zu sagen. Der Handel mit Ware wird gerade im Multimediabereich noch weiter zurückgehen, das lässt sich nicht vermeiden. Irgendwann wird es bei Fernsehern wieder Ersatzkäufe geben, aber andere Geräte verschwinden vom Markt. Der Kuchen wird kleiner und der Margendruck steigt. Deshalb ist der Fachhandel gefordert, von der Hardware wegzukommen. Er muss in Lösungen denken, dort bieten sich Chancen für den Handel. Überall werden die Personalkosten heruntergefahren, damit die wahnsinnigen Margen überhaupt möglich sind. Deshalb sucht der Kunde online oder bei Freunden und Bekannten nach Hilfe. Das ist eine Chance für den Handel, es braucht aber Zeit, bis das auch der Kunde verstanden hat.

Sie sind seit über 20 Jahren bei GfK Switzerland. Was begeistert Sie an der Marktforschung?

Es sind nicht die Zahlen, sondern die Menschen in der Branche. Ich kann in zahlreiche Bereiche tief hineinsehen und spüre dabei das Vertrauen im Handel. Es motiviert mich, wenn ich jemandem etwas mitgeben kann, das ihm hilft.

Wie unterstützt GfK Switzerland den Fachhandel?

Der Fachhandel kann mit der GfK mit Daten kooperieren und erhält dafür Know-how zurück. Von diesem für beide Seiten kostenlosen Austausch profitiert der Handel. Er kann aber auch an unseren Anlässen teilnehmen, von denen einige nicht öffentlich sind.

Wie kaufen wir in Zukunft ein?

Die Leute haben immer weniger Zeit fürs Einkaufen, deshalb spielen Convenience und Öffnungszeiten eine grosse Rolle. Das sieht man auch daran, dass Tankstellenshops trotz hoher Verkaufspreise immer noch zulegen.

Gehen deshalb auch die Umsatzzahlen in Schweizer ­Shoppingcentern zurück?

Nein, die bemühen sich um längere Öffnungszeiten. Aber die Shoppingcenter haben ein Überangebot an relativ teurer Verkaufsfläche. Dazu kommt die Verlagerung in den Onlinehandel. Der wichtigste Aspekt, wie wir in Zukunft einkaufen, sind aber die Emotionen. Der Kunde will dorthin, wo er gerne ist, wo das Einkaufen ein Erlebnis ist. Dabei spielen die Menschen an der Front eine wichtige Rolle. Dafür braucht es eine Passion, die man ausleben muss.

Erleben Sie diese Passion in der CE-Branche?

Nein, wir stecken leider noch viel zu sehr im Boxmoving-Denken. Es gibt aber viele neue Ladenbaukonzepte. ­Blumenläden und Optiker machen es vor mit kleinen Wohlfühlzonen, etwa mit einer Kaffeeecke. So etwas suchen die Leute.

Was bedeutet CEtoday für den Schweizer CE-Markt?

Viele gibt es ja nicht mehr auf dem Markt. Ihr habt also Vieles richtig gemacht. Ich kann auch nichts bemängeln, ich schätze sehr Vieles an CEtoday. Wenn ich etwas hervorheben müsste, sind es die schnellen, knackigen Onlinenews mit Aussage, da seid Ihr nah am Markt. Ausserdem ist eine Zeitung immer eine Zeitung, entscheidend sind die Menschen dahinter.

Webcode
DPF8_44868

Meist gelesen

» Mehr News