"Da findet ein absolut mörderischer Preiskampf statt"
Wie sieht die Zukunft des Fernsehens aus? Albrecht Gasteiner, Gründer des HDTV-Forum Schweiz, gilt als einer der versiertesten TV-Experten im Land. Im Interview erklärt er, was UHD bringt.
Albrecht Gasteiner: Die Verkaufszahlen von grossformatigen TVs schnellen raketenartig in die Höhe. Jahrzehntelang waren Fernseher klein wie Gucklöcher, heute sind sie gross wie Schaufenster. Zwar fürchten viele Kunden im Laden, so ein 55-Zöller sei zu gross für ihr Wohnzimmer. Wenn sie ihn dann aber eine Woche lang genutzt haben, wollen sie ihn nicht mehr hergeben.
Wie sehen die Fernseher der Zukunft aus?
Noch grösser. Eines nicht allzu fernen Tages wird im Wohnzimmer eine ganze Wand vollständig von einer OLED-Tapete bedeckt sein. Dort laufen dann aber nicht nur TV-Programme. In Fenstern, die man per Handbewegung beliebig positioniert und vergrössert, stehen zugleich auch Websites, Familienfotos, Kochrezepte, Dekorationselemente oder Bilder von Überwachungskameras zur Verfügung, einfach jede Art von optischer Information. Klar, dass so grosse Bilder auch nach höherer Auflösung verlangen. Flapsig formuliert: Je grösser, desto UHD.
Demnach ist Ultra-HD kein Hype?
Ganz und gar nicht. Viel besser passen die Bezeichnungen "Notwendigkeit" und bald auch "Selbstverständlichkeit".
Wieso sind Sie so überzeugt davon?
Es ist doch ganz einfach: Wenn Sie ein Foto aus Ihrer Digitalkamera im Postkartenformat ausdrucken, sieht es tipptopp aus. Dasselbe Bild im Format einer Zeitungsseite wirkt jedoch unerträglich unscharf. Also: Je grösser ein Bild ist, desto mehr Feinheiten muss es enthalten, desto höher muss seine Auflösung sein, damit der Schärfeeindruck erhalten bleibt. Aber UHD ist viel mehr als nur 4k oder 8k. Es bietet eine breitere Farbpalette als HD, eine ungleich feinere Farbabstufung, mit "High-Frame-Rate" eine drastisch erhöhte Bewegungsschärfe von bis zu 120 Bildern pro Sekunde, Surround-Sound aus bis zu 22+2 Audiokanälen und mit "High Dynamic Range" schliesslich eine gewaltige Steigerung des Bildkontrasts, so dass sowohl in den strahlendsten als auch in den dunkelsten Stellen alle Feinheiten klar dargestellt werden. Diese Dinge halte ich für fast noch wichtiger als den Faktor Auflösung. Denn bedenken Sie: Die höhere Auflösung bemerken Sie nur, wenn das Bild gross genug ist und Sie nahe genug davorstehen! Die anderen Faktoren wirken jedoch unter allen Bedingungen.
Haben die Hersteller also alles richtig gemacht?
Nicht ganz. UHD ist nämlich kein festgelegter, verbindlicher Standard, sondern ein weit gefasster Rahmen, innerhalb dessen die verschiedensten Dinge möglich sind. Also unterschiedliche Auflösungen, Farbtiefen, Dynamikumfänge und so weiter. Das bringt Unklarheit. Keiner weiss zum Beispiel, wie heute gekaufte UHD-Bildschirme reagieren werden, wenn man sie mit 8k-Signalen mit 12 Bit Farbtiefe, HDR und HFR füttert.
Wann kommen denn die Ultra-HD-TV-Sender?
Bei Ultra-HD hat man es schon in der heutigen, niedrigsten Evolutionsstufe mit gewaltigen Datenmengen zu tun, für deren Verarbeitung man die gesamte Studiotechnik von A bis Z komplett erneuern müsste. Das kann sich heute kaum ein Sender leisten, wo doch die Investitionen für die erst kürzlich erfolgte Umrüstung auf HDTV noch längst nicht amortisiert sind.
Aber gibt es nicht schon Tests mit Ultra-HD-TV-Sendern?
Freilich, aber ein Test ist noch lange kein Regelbetrieb.
Also kommen derzeit neben eigenen Inhalten nur Upscaling und online für 4k infrage?
Das Upscaling auf 4k funktioniert fast immer überraschend gut, damit kann man praktisch alles, was in HD-Qualität vorliegt, in höchst ansprechender "Beinahe-UHD"-Qualität erleben. Des Weiteren gibt es schon für recht wenig Geld 4k-Camcorder, mit denen man Familienvideos in hinreissender Bildqualität drehen kann, und schliesslich sehen die Bilder auch einfacher Digital-Fotoapparate auf 4k-Bildschirmen umwerfend aus. Aber es ist schon so, dass Sie Fernsehdirektübertragungen von SRF nicht schon in naher Zukunft in UHD-Qualität erwarten sollten. UHD ist dabei, die Landschaft der Programmlieferanten zu verändern. Online-Streaming und -Downloads werden immer beliebter, dafür braucht es kein Fernsehstudio. Aber auch hier stossen wir oft an die Grenzen heutiger Technik, zum Beispiel bei der Leistungsfähigkeit des privaten Internetzuganges. Der neue Kompressionsstandard H.265 High Efficiency Video Codec schafft es mirakulöserweise, UHD in prachtvoller Qualität auf eine Datenrate um die 30 Megabit/Sekunde "einzudampfen". Aber längst nicht jeder hat zuhause einen Internetzugang, der ihm diese Datenrate jederzeit und ohne Schwankungen garantiert. Ausserdem werden die nächsten Entwicklungsstufen von UHD mit noch viel, viel höheren Datenraten daherkommen. Also wird die dominierende 4k-Distributionsform zunächst wohl der Download sein. Der kann bei einem längeren Spielfilm gut und gerne eine ganze Nacht dauern.
Und jeder 4k-Fernseher enthält einen solche HEVC-Decoder?
Ganz und gar nicht. Die dafür nötigen Chips sind gerade erst fertig geworden. Man tut also gut daran, sich vor einem Kauf nach diesem Detail zu erkundigen. Aber glücklicherweise gibt es schon Nachrüstungsmöglichkeiten.
Was ist mit Ultra-HD-Blu-Rays?
Die kommen mit Verzögerung, aber immerhin. Sie werden bis zu drei Schichten haben, und zum Abspielen wird man neue Geräte brauchen. Im Sommer wird der 4k-Standard dafür publiziert, die ersten Geräte sind also frühestens im nächsten Winter zu erwarten.
Das verspricht gute Geschäfte. Wieso geht es einigen TV-Herstellern dennoch so schlecht?
Ich bin immer wieder erstaunt, wie günstig 4k-TVs heute im Vergleich zu vor zwei Jahren sind. Da findet ein absolut mörderischer Preiskampf statt. Und der fordert Opfer: Wo ist JVC, wo ist Toshiba? Selbst LCD-Pionier Sharp hat sich zurückgezogen. Das ist bedenklich.
Alles Japaner. Wieso trifft es gerade die japanische Industrie so hart?
Weil sie schnell sehr gross geworden ist und den Weltmarkt lange dominierte. Solche Dinge geschehen wellenartig. Vor 50 oder 60 Jahren war Deutschland der Nabel der TV-, Foto- und Filmwelt. Dann kam Japan und heute ist Korea mit Abstand führend. Man muss sich das einmal vorstellen: Samsung verkauft mehr TVs als die Nummern zwei und drei auf dem Weltmarkt zusammen.
Und LG?
Die sind weltweit führend beim zukunftsträchtigen Thema OLED. Inzwischen verkauft LG diese grossartigen Panels sogar schon an TV-Hersteller in China. Auch japanische Edelmarken wollen ihre Top-Fernseher mit OLEDs made by LG ausstatten. Bis vor zwei Jahren hat man gesagt: "Wer etwas Besonderes will, leistet sich einen Plasma-Fernseher." Heute sagt man das über OLED-TVs.
Was halten Sie von der Quantum-Dot-Technologie?
Das war das dominierende Thema an der CES in Las Vegas. Ich finde es ausserordentlich erfreulich, dass sich die Panelhersteller so intensiv und erfolgreich bemühen, die Bildqualität von LCD-Bildschirmen immer weiter zu erhöhen.
Auch bei den TV-Betriebssystemen geschieht einiges. Welches finden Sie das beste?
Da habe ich keine Vorlieben, leben kann ich mit allen. Lästig finde ich hingegen, dass sich die Hersteller nicht auf ein gemeinsames System einigen können. Das ist unpraktisch für Handel und Kundschaft.
Aber führt Konkurrenz nicht zu mehr Angeboten?
Freilich, aber "mehr" bedeutet nicht automatisch auch "besser" oder "praktischer". Sehen Sie, Fernsehgeräte sind heutzutage eigentlich nichts anderes als PCs mit sehr grossem Bildschirm. Sie bieten ungeheuer viele, computertypische Möglichkeiten, was im Prospekt sehr eindrucksvoll aussieht. In der Praxis jedoch nutzen nur ganz wenige Leute diese Möglichkeiten aus, die meisten erleben sie eher als lästige Stolpersteine. Da ist der Fachhändler gefragt. Er sollte das Gerät beim Kunden zuhause konfigurieren, und nach meiner Erfahrung ist der Kunde auch gerne bereit, diese wichtige Dienstleistung anständig zu honorieren. Ich sehe hier keinen Unterschied zum PC, wo das ja gang und gäbe ist.
Was ist Ihre Meinung zu Virtual-Reality-Brillen?
Sofern Programme speziell für sie produziert werden, vermitteln sie aufregende Erlebnisse, allerdings nur für diese eine Person, die sich mit der grossen VR-Brille von ihrer Umgebung abkapselt. Damit ist auch schon gesagt, dass sie den Bildschirm an der Wand nicht ersetzen werden. Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass Vater, Mutter, Sohn, Tochter und Haushund sich zum sonntäglichen "Tatort" mit diesen klobigen "Taucherbrillen für die Augen" versammeln werden.
Wieso betreiben Sie seit über zehn Jahren das HDTV-Forum?
Die namhaftesten Schweizer Importeure und Programmdistributoren haben mich darum gebeten, weil sie gemeinsam ihrer Informationspflicht gegenüber Handel, Konsumenten und Presse nachkommen wollten. Und seither freue ich mich, sozusagen als Blindenhund durch den Dschungel der Technik zu führen. Und ich rechne es diesen Unternehmen hoch an, dass sie sich nicht in meine Arbeit einmischen, sondern mich wirklich firmenneutral informieren lassen. Überhaupt ist das HDTV-Forum Schweiz eine Besonderheit, wie es sie fast nirgendwo sonst gibt. Denn wenn Sie diese Seiten anklicken, haben Sie die Gewähr, dass niemand versuchen wird, Ihnen etwas anzudrehen. Es gibt keinen Verkauf, keine Produktwerbung und keine tendenziösen Artikel. Stattdessen nichts als ausführliche Informationen, verständlich, aktuell, firmenneutral und wissenschaftlich abgesichert. Kein Wunder, dass diese Institution weit über die Schweiz hinaus beliebt und höchst angesehen ist. Ich bekomme E-Mails aus vielen verschiedenen Ländern.
Welche Fragen werden Ihnen am häufigsten gestellt?
Da gibt es die ganze Bandbreite, vom winzigen Steckerproblem bis hin zu Fragen weltweiter Normierung. Generell lässt sich aber sagen, dass die Mehrheit der bei mir ankommenden Fragen eigentlich der örtliche Fachhändler müsste beantworten können. Das bedeutet, dass die Leute entweder vom Händler keine kompetente Beratung bekommen haben, oder dass sie gar nicht zum Händler gegangen sind. Beides gibt zu denken ...