Das Stromnetz im Blick behalten
Wenn das Schweizer Energiesystem klimafreundlicher werden soll, ist es mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien allein nicht getan. Auch das Stromnetz muss angepasst und digitalisiert werden. Expertinnen und Experten der HSLU arbeiten mit Hochdruck daran.
Die Stromversorgung der Schweiz gleicht einer Grossbaustelle: Landauf, landab entstehen Solarstromanlagen, Öl- und Gasheizungen werden durch Wärmepumpen ersetzt, und für die stetig wachsende Zahl von Elektrofahrzeugen entsteht ein Netz aus privaten und öffentlichen Ladestationen. Auf dem Weg zu Netto-Null bis 2050 führt kein Weg an der Elektrifizierung aller Wirtschaftssektoren mit sauber erzeugtem Strom vorbei.
Schwankungen und "Verkehrsüberlastung" im Stromnetz
Antonios Papaemmanouil ist Institutsleiter Elektrotechnik und Leiter verschiedener Projekte zur zukünftigen Ausgestaltung des Stromnetzes. Er beschreibt die aktuellen Herausforderungen in Bezug auf das Stromnetz: "Die Stromproduktion erfolgt nicht mehr nur in zentralen Grosskraftwerken, sondern zunehmend auch in dezentralen Fotovoltaikanlagen mit kleiner und mittlerer Leistung. Gleichzeitig setzen private Haushalte und die Industrie immer mehr auf Wärmepumpen und E-Autos; beides Infrastrukturen mit hohem Strombedarf. Der Strom fliesst somit vom Netz zum Endkunden und von diesem auch wieder zurück ins Netz. Dazu stellen kurzzeitige Schwankungen bei Last und Produktion eine Herausforderung für die Verteilnetzbetreiber dar – sie müssen Wege finden, um das Netz zu stabilisieren und so sicher und zuverlässig zu betreiben. Diese Dezentralisierung des Energiesystems und der Stromfluss in beiden Richtungen bedingt eine neue Betriebslogik, mehr Informationsaustausch und zusätzlichen Investitionen im bestehenden Stromnetz."
Besseres Monitoring soll Abhilfe schaffen
Um ihre Netzinfrastruktur vor möglichen kritischen Netzzuständen und Engpässen zu schützen, müssen die Stromnetzbetreiber die Ströme in ihren Netzen jederzeit und überall überwachen können. Dies hilft ihnen, rechtzeitig Gegenmassnahmen zu ergreifen. Eine Gegenmassnahme kann zum Beispiel sein, die Einspeisung von Fotovoltaikanlagen einzuschränken oder die Ladungen von E-Autos in die Mittagsstunden zu verschieben, wenn die Sonne scheint. Dazu sind die richtigen finanziellen Anreize und Steuerungsmöglichkeiten notwendig.
Die Hochspannungsleitungen des Übertragungsnetzes, die quer durchs Land führen, werden schon heute technisch überwacht. Bei den Verteilnetzen im Siedlungsgebiet hingegen ist dies noch kaum der Fall. Das soll sich nun ändern, mit einer neuen Generation von intelligenten Stromzählern, die aktuell in Schweizer Haushalten für eine automatisierte Abrechnung eingebaut werden. Mussten die alten Stromzähler noch vor Ort von Hand abgelesen werden, ist das bei den neuen, intelligenten "Smart Metern" nicht mehr nötig: Sie übermitteln den Stromverbrauch automatisch an den Stromversorger.
Stromflüsse in Echtzeit verfolgen
Die vom Smart Meter übermittelten Daten zum Stromverbrauch dienen in erster Linie dazu, den verbrauchten Strom abzurechnen. Der Energieversorger kann damit aber auch die aktuellen Ströme und die Spannung in seinem Netz verfolgen: Smart Meter erfassen aktuelle Verbrauchszahlen nämlich im 15-Minuten-Takt. Das hat aber einen Haken: Diese Informationen sind Vergangenheitswerte. Und sie beinhalten auch sensible persönliche Daten, und können somit für die Netzbetriebsplanung nur begrenzt eingesetzt werden.
"Die Verteilnetzbetreiber müssen Wege finden, um das Netz zu stabilisieren und so sicher und zuverlässig zu betreiben. Diese Dezentralisierung des Energiesystems und der Stromfluss in beiden Richtungen bedingt eine neue Betriebslogik, mehr Informationsaustausch und zusätzlichen Investitionen im bestehenden Stromnetz", so Papaemmanouil.
Ein Team aus Forscherinnen und Forschern der Hochschule Luzern hat in Partnerschaft mit dem Technologieanbieter VIA Science, dem Gerätehersteller Landis+Gyr und dem Verteilnetzbetreiber Romande Energie nun einen innovativen Weg gefunden, wie Stromnetze mit Smart-Meter-Daten in Echtzeit überwacht werden können. Das Projekt wurde vom Bundesamt für Energie finanziell unterstützt. Der Clou: Die Smart-Meter-Daten werden dezentral abgelesen und ausgewertet, ohne eine zentrale Cloud-Infrastruktur dafür zu benötigen und die Verbraucherseite wird vor der Weiterverwendung anonymisiert. "Damit stellen wir sicher, dass Ressourceneffizienz und Sicherheit in jedem Fall garantiert sind und dabei die Daten vom Netzbetreiber sinnvoll eingesetzt werden können", sagt Antonios Papaemmanouil.
Verbrauch dank künstlicher Intelligenz vorhersagen
Eine weitere Besonderheit des neuen Ansatzes: Dank der Smart-Meter-Daten kann nicht nur der anonymisierte Ist-Zustand des Stromnetzes beschrieben werden. Möglich sind auch Vorhersagen darüber, welche Ströme voraussichtlich in den nächsten 24 Stunden fliessen werden. Die Prognosen werden auf der Grundlage früherer Verbrauchszahlen und mithilfe von künstlicher Intelligenz erstellt. Solche Vorhersagen sind für die Netzbetreiber entscheidend. Sie helfen ihnen, das Netz so zu betreiben, dass die Kosten optimiert und eine Überbelastung der Leitungen vermieden werden.
Der von der HSLU entwickelte Ansatz wurde im letzten Jahr vom Westschweizer Netzbetreiber Romande Energie im Waadtländer Städtchen Rolle erfolgreich getestet. Weitere Stromversorger haben Interesse angemeldet und diskutieren die konkrete Umsetzung in ihren Netzen. "Wenn die Stimmberechtigten am 9. Juni das Stromgesetz annehmen, wird die Komplexität unserer Stromnetze weiter erhöht. Dafür gibt es aber technische Lösungen", sagt Papaemmanouil. "Unser Ansatz hilft dabei sicherzustellen, dass die Stromnetze auch unter den neuen Bedingungen reibungslos funktionieren."
Apropos "Smart Meter": CKW hat die Umrüstung auf intelligente Stromzähler abgeschlossen. Innerhalb von drei Jahren hat der Energiedienstleister 185'000 "Smart Meter" installiert. Mehr dazu lesen Sie hier.