Überwachung: So viel China steckt in der Schweiz
Die Zahl der Überwachungsmassnahmen hat in der Schweiz in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Vor allem die SBB weiteten die Überwachung zuletzt massiv aus. Doch wie viel Überwachung gibt es hierzulande wirklich?
Big Brother is watching you! Ein Sprung in die Bank, ein Stopp für Kaffee und Gipfeli am Bahnhof-Kiosk – und der "grosse Bruder" Staat respektive die SBB sind auf Schritt und Tritt dabei. Überwachung ist inzwischen ein fester Bestandteil des öffentlichen Lebens in vielen Teilen der Schweiz, vor allem in Städten. Doch in wie vielen Situationen werden wir eigentlich überwacht? Das ist schwer zu sagen. Offizielle Zahlen zu aktiven Überwachungsmassnahmen im öffentlichen Bereich gibt es keine, zumal viele Überwachungskameras von Privatpersonen respektive Unternehmen aufgestellt werden. Diese dürfen teilweise auch öffentliche Areale filmen, wie Sie hier lesen.
SBB überwachen am meisten
Das Unternehmen mit den meisten Überwachungsanlagen in der Schweiz sind die SBB. Laut dem "SonntagsBlick" werden Pendlerinnen und Pendler auf Arealen der SBB inzwischen von rund 24'400 Kameras beobachtet. 2400 davon entfallen auf Bahnhöfe, die restlichen befinden sich in den Zügen. Insgesamt sind das rund 50 Prozent mehr Kameras als noch 2015; damals wurden Reisende noch von 14'600 digitalen Augen verfolgt. Zusammen mit der BLS und der Rhätischen Bahn kommen die Schweizer Bahnbetriebe aktuell auf über 36'000 Kameras.
In den Zügen der Südostbahn stieg die Zahl der Kameras seit 2017 von 380 auf 1910, wie "SRF" schreibt. In den Bussen und Trams der Basler Verkehrsbetriebe seien mittlerweile 1622 Überwachungskameras installiert, in jenen der Verkehrsbetriebe Zürich 2688. Postauto betreibe derzeit rund 1200 Kameras.
Starker Anstieg in den vergangenen Jahren
Nicht nur Kameras kommen hierzulande für die Überwachung zum Einsatz. So ordneten die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden 2022 etwa 3317 Antennensuchläufe an, wie eine Statistik des Bundes zeigt. Im Jahr davor waren es mit 1695 noch deutlich weniger.
Im Jahr 2022 ordneten die Schweizer Strafverfolgungsbehörden und der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) insgesamt rund 27 Prozent mehr Überwachungsmassnahmen beim Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (Dienst ÜPF) an, wie der Bund schreibt. Konkret stieg die Anzahl der Echtzeitüberwachungsmassnahmen von 1155 auf 1218. Rückwirkende Überwachungsmassnahmen verordneten die Behörden 8814 Mal – 2021 waren es noch 6265 Fälle.
Die Anzahl der Suchläufe verteile sich dabei jeweils auf gleich viele Fälle, merkt der Bund an: Wie schon 2021 haben die Strafverfolgungsbehörden und der NDB in 27 Fällen Antennensuchläufe angeordnet. Diese Zunahme der durchgeführten Antennensuchläufe bei gleichbleibender Fallzahl könne verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise die Erhöhung der Anzahl Mobilfunkantennen im betroffenen Gebiet. Lasse man die Antennensuchläufe ausser Betracht, betrage die Steigerung der Überwachungsmassnahmen lediglich 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, heisst es in der Mitteilung.
Um 21 Prozent zugenommen hat auch die Anzahl der beim Dienst ÜPF eingeholten komplexen und einfachen Auskünfte. Die Anzahl Anfragen nach komplexen Auskünften sei um 33 Prozent gestiegen, während mit 14'483 Auskünften 59 Prozent mehr komplexe Auskünfte (darunter Ausweiskopien oder Vertragsdaten) geliefert wurden. Pro Anfrage könnten jeweils mehrere Ergebnisse geliefert werden, erklärt der Bund die Diskrepanz. Derweil nahm die Anzahl erteilter einfacher Auskünfte (wie Telefonbuch- oder IP-Adressen-Abfragen) um 19 Prozent auf 356'286 zu.
Weitere Zunahme in Sicht
Dem Anschein nach dürfte sich der Überwachungstrend in den nächsten Jahren fortsetzen. Die SBB planen etwa schon ein neues Überwachungsprojekt. Erst Anfang 2023 hatten sie mit einer Ausschreibung für das Projekt "KundenFrequenzMessSystem 2.0" für Aufsehen gesorgt. Gemäss der Ausschreibung sollten an den Bahnhöfen Kameras mit Gesichtserkennung angebracht werden, welche die Bewegungen der Reisenden erfassen und analysieren sollten. Als Ziele des Systems nannte das Unternehmen die Sicherheit auf den Bahnhöfen, aber auch eine Umsatzsteigerung für die dortigen Läden. Nach starker Kritik aus Politik und Medien strichen die SBB die Kundensegmentierung aus dem Projekt und nahmen die Ausschreibung vorübergehend offline.
Internationaler Vergleich
Trotz der starken Zunahme an Überwachungsmassnahmen in den vergangenen Jahren liegt die Schweiz noch hinter anderen europäischen Nationen. Das Unternehmen Comparitech untersuchte 2022 die Verbreitung von Überwachungskameras auf der Erde. Schätzungen zufolge gibt es weltweit rund 770 Millionen Überwachungskameras, mehr als die Hälfte davon, rund 54 Prozent, in der Volksrepublik China. Damit liegt das Reich der Mitte, oftmals als die Überwachungsnation schlechthin bezeichnet, international wenig überraschend auf Rang eins. Die meisten Kameras soll es laut den Schätzungen in den Städten Shanghai (12 Millionen) und Peking (rund 9 Millionen) geben. In der Metropole Shenzhen stehen dafür die meisten Überwachungskameras pro Quadratkilometer: schätzungsweise zwischen 2400 und 2800. Insgesamt gebe es in Shenzhen knapp 5 Millionen Kameras. Im ganzen Land sind laut Comparitech rund 373 Kameras pro 1000 Personen installiert.
Ausserhalb Chinas werden die Bewohnerinnen und Bewohner der indischen Stadt Indore am meisten überwacht. Dort kommen auf 1000 Personen 62,52 Kameras. Auch Moskau (16,85 Überwachungskameras pro 1000 Bewohner), London (13,35) und Sankt Petersburg (12,65) gehören zu den 10 grössten "Überwachungsstädten" ausserhalb Chinas.
Andere europäische Grossstädte mit einem hohen Anteil an Überwachungskameras gemessen an der Bevölkerung sind Berlin (6,2 Kameras pro 1000 Personen), Madrid (4,06) und Paris (4,04). Auch Athen (3,45), Barcelona (2,35) und Rom (1,71) sind in der Liste aufgeführt. Schweizer Städte sind in den Daten von Comparitech nicht vertreten. Die kleinste Stadt in der Liste ist Athen mit 3,15 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern.
Die Schweiz kommt mit den 36'000 Kameras der Bahnbetriebe auf etwas mehr als 4 Kameras pro 1000 Bewohnerinnen und Bewohner (basierend auf den Einwohnerzahlen aus dem Jahr 2021). Mit den Kameras der Bahnbetriebe allein entspricht der Überwachungsgrad in der Schweiz ungefähr jenem der Grossstädte Madrid oder Paris – oder etwas mehr als einem Hundertstel von China.