Forscher erzeugen dynamische Blindenschrift durch Erdgasverbrennung
Forschende tüfteln an einer neuen Möglichkeit zur Darstellung von Blindenschrift. Ihre Technologie basiert auf der Verbrennung kleiner Gasmengen. Das Verfahren könnte für VR-Anwendungen, in der Robotik oder in der Medizin zum Einsatz kommen.
Forschende der New Yorker Cornell University und des Technion-Israel Institute of Technology haben ein neues Verfahren zur dynamischen Darstellung von Blindenschrift vorgestellt. Das System besteht aus Silikon, einem verformbaren Polymer auf Siliziumbasis, in das die Entwickler winzige Kammern mit ebenso winzigen Zündkerzen integriert haben, wie es in einer Mitteilung heisst.
Diese Kammern sind über getrennte Kanäle mit einer Pumpe verbunden, die wiederum eine winzige Menge Methan und Sauerstoff in die Kammern presst, in denen sich schliesslich Braille-Punkte formieren sollen.
Schematischer Aufbau der Versuchsanlage. (Source: Heisser et al. (2021) / PNAS)
Sobald das Gas gezündet wird, erheben sich diese Punkte um mehrere Millimeter. Das passiert innerhalb von einer Millisekunde. Danach sorgt ein magnetisches Verriegelungssystem dafür, dass die Punktereihe nicht gleich wieder zusammenbricht.
Die "Punkte" auf der Silikonmembran entstehen innerhalb einer Millisekunde. (Source: Heisser et al. (2021) / PNAS)
Blinde und stark sehbehinderte Nutzerinnen und Nutzer können die Punkte dann normal abtasten. Danach drücken sie sie manuell herunter, und das Verfahren könne von neuem Beginnen.
Laut der Mitteilung setzten die Forschenden gezielt auf Verbrennung, weil dabei erhebliche Kräfte frei werden. In früheren Versuchen experimentierten sie mit Motoren und Hydraulik - "lauter teure, komplexe und schwere Komponenten", kommentiert Forschungsleiter Rob Shepherd.
Robert Shepherd, Sibley School of Mechanical and Aerospace Engineering, Cornell University. (Source: mae.cornell.edu)
Das Lese-Erlebnis soll übrigens nicht schmerzhaft sein – anders als der schreibende Redaktor aufgrund des Wortes "Verbrennung" zunächst vermutete. Laut der Universität sollen die sogenannten "fluidischen Elastomeraktoren" – also die erzeugten Punkte – rasch abkühlen.
Man benötige zudem nur eine geringe Menge an Treibstoff, sodass Geräte sicher betrieben werden könnten. Wie laut die Funktionsweise eines solchen Displays ist und was es kosten soll, steht nicht in der Mitteilung der Universität.
Anwendungen für VR, die Medizin und Robotik
Bis mit der Technologie ein komplettes Blindenschrift-Display gebaut wird, dauert es jedoch noch. Das aktuelle System könne gerade mal neun Punkte abbilden. In der Brailleschrift, wie sie auch genannt wird, werden einzelne Schriftzeichen jeweils aus einer Kombination von bis zu 6 Punkten dargestellt.
Für die Technologie sehen die Forschenden bereits konkrete Anwendungszwecke: zum Beispiel in weichen Robotern und tragbaren Virtual-Reality-Geräten, die eine künstliche Berührung simulieren. Die biokompatiblen Komponenten könnten auch für chirurgische Werkzeuge verwendet werden, die Gewebe manipulieren oder blockierte Durchgänge bei Patienten öffnen.
Die Komponenten der Technologie sind biokompatibel und eignen sich deswegen auch für medizinische Zwecke. (Source: Heisser et al. (2021) / PNAS)
Die Forschenden haben ihre Ergebnisse Ende September in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift PNAS publiziert. Erstautor ist der Doktorand Ronald Heisser.