Bis ins hohe Alter unabhängig leben
Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung steigt. Gleichzeitig wächst deren Bedürfnis, möglichst lange selbstbestimmt in der eigenen Wohnung zu leben. Um das zu ermöglichen, setzt das iHome Lab der Hochschule Luzern auf das Konzept "Ambient Assisted Living".
Es ist neun Uhr morgens. Irma Stadler will sich einen Kaffee machen, als es passiert: Sie verliert kurz das Gleichgewicht und stürzt zu Boden. Dabei bricht sich die 82-Jährige das Bein. Aufstehen kann sie nicht. Um sich zum Telefon zu schleppen, ist sie zu schwach. Mit starken Schmerzen muss sie auf dem kalten Boden ausharren. Schier unendliche acht Stunden später findet ihr Sohn sie: Die Frau liegt immer noch auf dem Boden und ist stark unterkühlt.
Solche Situationen kann Ambient Assisted Living (AAL) verhindern. AAL umfasst Konzepte, in denen elektronische Systeme, Produkte sowie Dienstleistungen das alltägliche Leben insbesondere älterer Menschen situationsabhängig unterstützen. Ausser mehr Lebensqualität bringt AAL aber auch ökonomische Vorteile: Wer länger zuhause wohnen bleiben kann, verursacht weniger Kosten. Dieser Aspekt gewinnt vor allem im Hinblick auf die demografischen Veränderungen in der Gesellschaft an Bedeutung. Im Jahr 2035 wird rund ein Drittel der Schweizer Bevölkerung über 65 Jahre alt sein.
Inaktivitätssensor
Stürze wie jener von Frau Stadler passieren relativ oft. Sie machen rund 85 Prozent der Unfälle von über 60-Jährigen aus. Nun haben die Forscher des iHome Lab eine Prototyplösung für rasche Hilfe entwickelt: einen Sensor, der an einer häufig frequentierten Stelle in der Wohnung eines betagten Menschen installiert wird. Im Falle eines Sturzes mit Bewusstseinsverlust oder Bewegungsunfähigkeit löst der Sensor eine Alarmierungskette aus. Erste Ansprechstelle ist in der Regel ein Angehöriger. Quittiert dieser den Alarm nicht, geht die Meldung eine Stufe weiter, etwa an eine Alarmzentrale.
Sensoren, die Stürze oder Inaktivität erkennen, könnten auch in bestehende Geräte integriert werden, etwa in ein Hörgerät, das viele Senioren ohnehin schon benutzen. Für die Umsetzung solcher Ideen arbeitet das iHome Lab eng mit Firmen aus der Industrie zusammen.
Vernetztes Haus als Voraussetzung
Grundvoraussetzung für sämtliche Produkte ist ein vernetztes, intelligentes Haus. Wer sein Heim umrüsten will, muss nun nicht gleich sämtliche Kabel und Gerätschaften erneuern lassen. Eine der Lösungen kann der Einsatz von sogenannten "Low Power Sensor Networks" sein. Hier kommt etwa die "ZigBee"-Technologie zum Einsatz. Dank dieser können die verschiedensten Geräte miteinander kommunizieren, ohne dass dafür zusätzliche Leitungen verlegt werden müssen. So lassen sich auch bestehende Wohnungen einfach umrüsten.
Technische Unterstützung im und um das Haus
Die Forscher des iHome Lab befassen sich bei AAL aber nicht nur mit dem Wohnen in den eigenen vier Wänden, sondern auch mit Themen wie Mobilität oder Plattformen zur Bildung von Betreuungsgemeinschaften.
So forschen die Ingenieure am iHome Lab daran, einen handelsüblichen Rollator weiterzuentwickeln. Der Rollator der Zukunft wird unter anderem mit einem Elektroantrieb ausgestattet sein, ähnlich wie man es von E-Bikes kennt. Dieser Antrieb erleichtert es, Hindernisse oder Steigungen zu überwinden. Zudem wird die neue Entwicklung mit moderner Kommunikationstechnik ausgerüstet sein: Die Benutzerin oder der Benutzer hat so die Möglichkeit, über einen integrierten Tabletcomputer auf verschiedene Dienste wie Navigationshilfen, spezielle seniorengerechte Applikationen oder ein Notfallsystem zuzugreifen. Ein erster Prototyp der smarten Gehhilfe wurde bereits gebaut. Mit einem Elektroantrieb und einer Steuerung ist er in der Lage, eine vorgegebene Teststrecke autonom zu befahren.
Kommende Generation der Senioren ist technikversiert
Der Erfolg von AAL ist vor allem eine Frage der Akzeptanz. Wollen sich ältere Menschen wirklich rund um die Uhr überwachen lassen? "Unsere Systeme sind die meiste Zeit im Schlafmodus und werden erst durch eine Notsituation aktiviert", sagt iHome-Lab-Leiter Alexander Klapproth. "Sie senden lediglich in kurzen Zeitabständen Signale und schalten sich richtig ein, wenn ein Sensor einen Vorfall meldet."
Und wie steht es um die Bereitschaft, sich im Alltag mit Technik zu umgeben und diese anzuwenden? Die kommende Generation von Seniorinnen und Senioren wird technikversierter sein als die heutige. Viele haben beruflich mit Computern zu tun oder nutzen auch privat das Internet. Fast alle besitzen ein Mobiltelefon. Die neuen Geräte müssen aber dem Alter ihrer künftigen Benutzer angepasst werden. Einfache Bedienoberflächen, grosse Icons und klare Handhabung sind hier gefragt.
Das iHome Lab
Das iHome Lab der Hochschule Luzern ist das Schweizer Forschungsinstitut für Gebäudeintelligenz. Unter der Leitung von Alexander Klapproth forschen 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in engem Kontakt mit über 220 Partnern aus Wirtschaft und Industrie an Themen wie Ambient Assisted Living, Energieeffizienz und Internet of Things. Das iHome Lab ist offen für Besucher. Weitere Informationen zum Forschungszentrum finden sich auf der Website.