Besuch im Handel

Mystery-Shopping: "Das müssen wir bestellen"

Uhr | Aktualisiert
von Fabian Pöschl und Marc Landis

Astrids Freundin Erika braucht vor den Ferien unbedingt eine neue Kamera. Eigentlich wollte sie eine Spiegelreflex, doch Astrid riet ihr zur Systemkamera. Auf der Mystery-Shopping-Tour machte Erika den Vergleich zwischen Onlinehandel und stationärem Ladengeschäft. Fazit: Sie wird wohl Multichannel-Kundin.

Astrids Freundin Erika M. geht in die Ferien. Damit der Sommer unvergesslich bleibt, braucht sie eine neue Kamera, um die Erinnerungen auch wirklich festzuhalten zu können. Denn ihre alte Sony Alpha 55 hat die besten Tage bereits hinter sich. Erikas Freundin Astrid, die erfahrene Mystery-­Shopperin, riet zur kompakten Systemkamera. Die Mischung zwischen Kompakt- und Spiegelreflexkamera bietet viele Vorteile: Eine leichte, einfach zu bedienende Kamera, verpackt in einem robusten Gehäuse. Und sie passt auch in die Handtasche.

Als weiteren Vorteil empfand Erika die Wi-Fi-Konnektivität vieler Systemkameras. Damit könnte sie ihre Erlebnisse unmittelbar auf Facebook mit ihren Freundinnen teilen. Als sie hörte, dass auch die Objektive austauschbar sind, stand Erikas Entschluss fest. Für eine gute Systemkamera mit den für sie passenden Objektiven wäre sie bereit, 1000 Franken zu bezahlen.

Rückblick: Letzten Sommer, als Astrid eine Spiegelreflexkamera kaufen wollte, war ihr Fazit bezüglich Beratungsqualität der Onlinekanäle zwiespältig ausgefallen. Sie hatte an mehrere Onlinehändler Offert-Anfragen per E-Mail verschickt. Während E-Hawk mit einem ausführlichen Schreiben antwortete, sich also richtig Zeit für die Onlineberatung nahm, stellten andere einfach einen Warenkorb zusammen oder verwiesen auf das Ladengeschäft.

Erika wollte sich nicht nur auf den Online­kanal verlassen. Sie würde auch im Fachgeschäft, beim Discounter und im Fachmarkt nach der idealen Beratung und der idealen Systemkamera suchen. Erikas Mystery-Shopping-Tour führte durch Media Markt, Interdiscount und Foto-Fachgeschäft. Virtuell besuchte sie den Fotofachhändler Fotopro, den Online-Discounter Digitalkamera-Discount, sowie die Onlineshops von Digitec und Conrad.

Media Markt

Erste Station war ein gut besuchter Media Markt. Wer in der Fotoabteilung Beratung suchte, musste Geduld mitbringen. Ein einziger Verkäufer wurde regelrecht von Kunden belagert und seine Kollegen aus anderen Abteilungen waren "nicht für die Fotoabteilung zuständig". Nach zehn Minuten kam ein zweiter Verkäufer hinzu, der sich Erika erbarmte, indem er nach ihren Wünschen fragte.

Sie erklärte, dass sie eine Systemkamera wollte. Der Verkaufsberater empfahl ihr das Samsung NX300 Bundle für 799 Franken, das aus zwei Objektiven, einer Tasche und einer Photoshop-Lightroom-Version besteht. Von diesem Aktionsbundle hätten sie nur noch zwei Stück an Lager, deshalb sei Eile geboten. Was die Kamera besonders auszeichne sei neben einer Wi-Fi-Funktion der günstige Preis. Ein einzelnes Objektiv aus dem Bundle habe er gerade für 350 Franken verkauft. Auf Fragen zur Technik erklärte er: "Die Samsung-Qualität ist unschlagbar." Weitere "Antworten" auf technische Fragen gab er nicht sondern drängte zum Abschluss. Erika bedankte sich nach knapp drei Minuten Beratung. "Hier gilt der tiefe Preis als Verkaufs­argument", dachte sich Erika.

Foto-"Fach"-Händler

Ihren nächsten Halt machte Erika bei einem renommierten Fotofachhändler auf dem Lande. Als sie den Laden eine Viertelstunde vor Ladenschluss betrat, war eine junge Frau damit beschäftigt, die Tageseinnahmen zu zählen und abzurechnen, während zwei weitere Verkäuferinnen im Laden waren. Erika wurde sogleich von der einen gefragt, wie sie helfen könne. Erika kaufte eine 32-GB-SD-Speicherkarte für ihre alte Sony Alpha 55, und erklärte beiläufig, dass sie sich für eine neue Systemkamera interessiere. Die noch sehr junge Verkäuferin führte Erika zu einer verschlossenen Glasvitrine und nahm die Nikon 1 heraus. Das sei eine gute Systemkamera, sagte sie. Auf Fragen nach Möglichkeiten der manuellen Einstellung antwortete die Dame mit einem Lächeln und fing an, im Menu danach zu suchen. Erfolglos. Sie rief eine Kollegin zu Hilfe, die damit begann, die Bedienungsanleitung zu studieren.

In der Zwischenzeit interessierte sich Erika für ein anderes Gerät in der Vitrine, die Lumix GF3 von Panasonic. Diese Systemkamera sei deutlich günstiger als die Nikon 1. Erika spielte an der Lumix herum, freundete sich sogleich mit dem recht einfachen Menu an und fand auf Anhieb am Einstellrad verschiedene Aufnahmemodi, auch manuelle. Mittlerweile hatte die andere Verkäuferin die Bedienungsanleitung der Nikon 1 durchgelesen und keinen Hinweis auf manuelle Einstellmöglichkeiten gefunden. "Die Kamera macht halt alles automatisch."

Was es denn für Objektive dazu gäbe, fragte Erika. Dieses hier, das drauf sei; wenn sie ein Weiteres wollte, müsse man es bestellen. Und ob sie Objektive zur Lumix GF3 da habe? Nein, die müssten sie auch bestellen. Erika dachte plötzlich an ihre alte Alpha 55. "Gehen eigentlich die Objektive meiner Alpha 55 auch auf Sony-NEX-Systemkameras?", fragte sie. Dann könnte sie sich auch vorstellen, bei der Marke Sony zu bleiben. Die junge Verkäuferin wusste es nicht und schaute bei Engelberger im Online-Händlershop nach. Nein, die Alpha-Objektive passen nicht auf NEX-Systemkameras. Die hätten ein E- und die Alphas ein A-Bajonett, sagte sie. Zudem habe sie momentan keine NEX im Laden und müsste erst eine bestellen …

Hier würde Erika wohl eher keine neue Kamera kaufen. Kaum Fachkompetenz bei der Verkäuferin und auch die Auswahl war enttäuschend. Ob dieser "Fach"-Händler nicht besser beraten wäre, wenn er sich statt aufs Handeln auf Fotoaufträge für Kindergeburtstage, Hochzeiten und Beerdigungen konzentrieren würde?

Interdiscount

Die nächste Station führte zu einer kleinen Interdiscount-Filiale, wo ein Verkäufer sofort Zeit für Erika hatte. Er war höflich und geduldig, fragte, wofür die Systemkamera gebraucht werde und erklärte ausführlich technische Details der empfohlenen Modelle Nikon 1 und Canon EOS M. So ging er etwa auf Lichtstärke und Auflösung ein, erklärte Bedienmodi und drückte Erika die Kameras zum Ausprobieren in die Hand. Er empfahl nach rund zehn Minuten Beratung die EOS M von Canon zum Aktionspreis von 449 Franken. Die biete das beste Preis-Leistungs-Verhältnis und er sei selber überzeugt von ihr. Als er noch offene Fragen beantworten wollte und eine Kopie des Datenblatts mit technischen Details anbot, war Erika überzeugt: Hier würde sie ihre Kamera wohl kaufen.

Online

Doch wer weiss, vielleicht war der Onlinehandel noch überzeugender? Die Antworten auf Erikas E-Mail-Anfragen trafen jedenfalls alle nach spätestens zwei Tagen ein. Conrad schrieb, Erika solle doch in eine Filiale kommen und sich vor Ort beraten lassen.

Ähnlich fiel das Resultat bei www.digitalkamera-discount.ch aus. Man antwortete knapp, dass bei Systemkameras Olympus-Modelle zu empfehlen seien. Die finde sie im Onlineshop. Etwas mehr Mühe gab sich Digitec. Der grösste Onlinehändler der Schweiz schickte in seiner Antwort einen Link mit, der zum Produktvergleich der Modelle Olympus Pen E-PL5 Lite, Sony NEX-6L und Nikon 1 V2 führte. Digitec empfahl in der E-Mail-Antwort das Olympus-Modell plus Speicherkarte. Falls ein zusätzliches Objektiv gewünscht werde, würde man natürlich gerne Vorschläge zusenden.

Am ausführlichsten antwortete Fotopro. Auch hier riet man zum Gang in die stationäre Filiale. Für eine optimale Beratung sollte man die Kameras in die Hände nehmen und ausprobieren. Das Schreiben war damit aber noch lange nicht fertig. Der Fotopro-Fachmann erklärte, was alles hinter dem Begriff Systemkamera steckt und ging auf die unterschiedlichen Sensoren der Hersteller ein. Obendrein legte er einen Link mit weiteren, ausführlicheren Informationen bei. Schliesslich wurden die Vor- und Nachteile der Canon EOS M, Olympus OM-D EM5, Fujifilm X-E1, Panasonic Lumix G1, Nikon 1 S1 und Sony NEX-6 aufgezählt. Erikas Meinung war klar: So sollte eine Onlineberatung sein. Bei Fotopro gehört es offenbar zum Konzept, dass man sich für die ausführliche Onlineberatung Zeit nimmt.

Fazit

So fällt Erikas Fazit wie bei Astrids Onlineshopping vor einem knappen Jahr wiederum zwiespältig aus. Sowohl im Onlinehandel als auch im stationären Handel erlebte sie gute und weniger gute Beratung. Während sich manche Verkäufer viel Zeit nahmen und auf Erika eingingen, indem sie ihr wie bei Interdiscount oder Fotopro technische Details erklärten, waren andere sowohl on- als auch offline kurz angebunden. Bei einer so guten Onlineberatung wie bei Fotopro würde Erika wohl auch die stationäre Filiale besuchen und so zur Fotopro-Multichannel-Kundin werden. Aber auch bei Interdiscount hätte sie am liebsten gleich gekauft. Auf keinen Fall wird Erika aber jemals wieder einen Fuss in den Laden des besuchten Fachhandelsgeschäftes setzen. Es ist halt wie so oft im Leben: Auch bei der Beratungsqualität kommt es immer auf die Menschen an. Haben die Lust und wissen sie wovon sie sprechen (oder schreiben), klappt’s auch mit dem Umsatz.

Webcode
2DY4mGwp

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